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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Editor]
Die Graphischen Künste — N.F. 3.1938

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Tietze, Hans; Tietze-Conrat, Erika: Tizian-Graphik: Ein Beitrag zur Geschichte von Tizians Erfindungen, [1]
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.6338#0021
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5. Bekehrung Pauli. Holzschnitt. Paris, Bibliotheque Nationale

Ist aber Tizian diese Persönlichkeit? Wir sind nicht gewöhnt, ihn unter die Mitschöpfer
an der religiösen Erneuerung des XVI. Jahrhunderts zu zählen wie Michelangelo; anders als
dieser hält er sich im Rahmen des Traditionellen. Und doch gibt es auch in seinem Leben eine
kurze Spanne, in der wir ihn an der Schwelle der letzten Geheimnisse stehen sehen. In der
Gloria, die er 1551—1554 Karl V. für die Einsamkeit von Yuste malte, fühlen wir einen ähn-
lichen Willen, der religiösen Erregung der Zeit ihr Bildsymbol zu prägen. Wenige Jahre vorher
hat Tizian in der zugrundegegangenen ersten Fassung des Pfingstfestes mit der Erscheinung
Gott-Vaters, der über die heilige Versammlung dahinstürmt, eine ähnliche Kühnheit der Er-
findung gewagt.1 Wie immer, möchten wir auch hier eine bedeutsame Erfindung nicht einem
kleinen, sondern nur einem großen Künstler zutrauen, unbeschadet der Frage, wie weit literari-
sche Ratgeber an der theologischen Redaktion solcher Stoffe teilgenommen haben.

Der Holzschnitt ist technisch sehr unvollkommen und, wenn Lampsonius wirklich ihn im
Auge hatte, so war sein Urteil ganz berechtigt. Die Erfindung aber, die dahintersteht, könnte

1 Die kurze Beschreibung bei Vasari „la venuta dello Spirito Santo sopra gli Apostoli con im Dio fiato di fuoco
e lo Spirito in colomba" wird durch das Pfingstbild des Polidoro da Lanziani von 1545 (in der Akademie in Ve-
nedig) bestätigt, das bei durchgängiger Abhängigkeit von Tizians Apostelgruppe dieses auffällige Detail zeigt
(Abbildung im Preuß. Jahrbuch XXII, p. 197).

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