Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — N.F. 3.1938

DOI Artikel:
Ankwicz-Kleehoven, Hans: Zu Grünewalds Altersporträt
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6338#0111
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
von Wiederholungen des Erlanger Originals in Kassel und München gesprochen. Eine An-
frage an die Staatliche Graphische Sammlung in München ergab, daß hier ein Irrtum Naumanns
vorliege, da in München kein Grünewald-Selbstbildnis vorhanden ist.17 Es mag aber in diesem
Zusammenhange nicht überflüssig sein, darauf aufmerksam zu machen, daß die Bibliothek
des Staatlichen Kunstgewerbemuseums in Wien seit mehr als 70 Jahren eine der
Grünewald-Forschung bisher unbekannt gebliebene ausgezeichnete Kopie des Kasseler Por-
träts ihr Eigen nennt. Es ist eine in bräunlicher Tusche ausgeführte Federzeichnung (Abb. 3),
die, etwas kleiner als das Kasseler Blatt — sie mißt nur 287: 202 mm — mit diesem fast Strich
für Strich übereinstimmt.18 Nur bei ganz genauer Überprüfung ergeben sich geringfügige Differen-
zen wie etwa bei den Falten auf der Stirne, bei der Gestaltung des Ohres oder der Zeichnung der
Haare. Das Monogramm MG steht auf dem Wiener Blatte etwas tiefer als in Kassel, zwei dunkle
Striche unterhalb der linken Schulter, die man auf der Kasseler Kopie vielleicht für einen
flüchtig gezeichneten Knopf halten könnte, formen sich hier scheinbar zu einem „R", von dem
wir es dahingestellt lassen, ob es die Signatur des Kopisten sein könnte. Am obern, ganz wenig
beschnittenen Rande gewahren wir den mit der Kasseler Inschrift nicht nur gleichlautenden,
sondern offenbar auch von derselben Hand geschriebenen Vermerk:

Contrafactur des hoch berümpten maiers
Mathe s von Aschafenburg

Wenn man nicht annehmen will, daß sich der Verfertiger der Wiener Kopie einer für das
17. Jahrhundert geradezu staunenswerten Gewissenhaftigkeit bei der Nachbildung aller Einzel-
heiten des Bildnisses und der Schrift beflissen habe, so wird man die, von kleinen Veränderungen
abgesehen, nahezu völlige Identität der beiden Kopien am besten damit erklären können, daß
sie einen und denselben Künstler zum Autor haben, der zuerst die Kasseler und danach — mit
einigen unwesentlichen Vereinfachungen — die Wiener Zeichnung vollendete. Für die Herkunft
der letzteren, die 1867 mit einem Konvolut von 120 andern Handzeichnungen um den Gesamt-
betrag von 54 Thalern von der Berliner Kunsthandlung Amsler & Ruthardt erworben
wurde,19 ist ein noch dem Anfang des 16. Jahrhunderts angehörender Eintrag auf der Rück-
seite des Blattes, möglicherweise der Anfang eines Gebetes oder einer Urkunde, nicht ganz
belanglos. Er lautet:

In dem name(n) der heiligen vnd vnteyligen driualtickeit etc ut p(rius) in nono

Die alemannische Form des Wortes „driualtickeit" (Dreifaltigkeit) spricht für Südwest-
deutschland, also für die Rheingegend, wo ja auch die Erlanger Zeichnung entstanden sein
muß. Kann man nach dem Gesagten der Wiener Kopie gegenüber dem Erlanger Original keinen
selbständigen Wert zusprechen, da ja das Kasseler Blatt dazwischensteht, so verdient die
Zeichnung des Wiener Kunstgewerbemuseums als nicht unwesentliche Bereicherung des vor-
handenen Materials immerhin Beachtung und einen entsprechenden Platz in der Grünewald-
Literatur.

17 Das Mißverständnis Naumanns dürfte darauf beruhen, daß vor einigen Jahren sämtliche Zeichnungen der
Erlanger Universitätsbibliothek — darunter auch das Grünewald-Bildnis — durch mehrere Monate in der Mün-
chener Staatl. Graphischen Sammlung ausgestellt waren.

18 Sogar die unter der Federzeichnung am Kasseler Blatt noch durchschimmernden Reste einer ehemaligen
Kreidezeichnung (an der linken Wange und Schläfe) sind auf der Wiener Kopie nachgeahmt.

19 Die Zeichnung (Papier ohne Wasserzeichen) trägt in der rechten untern Ecke eine alte Bleistiftziffer „105".
In das Kunstblätterinventar der Bibliothek des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie (jetzt Staatl.
Kunstgewerbemuseum in Wien) wurde sie vom damaligen Bibliotheksvorstand Dr. Franz Schestag unter
Nr. 1344 mit folgenden Worten eingetragen: „Porträt des Malers Mathes von Aschaffenburg von M. G. Feder-
zeichg." Daneben von gleicher Hand der Ankaufsvermerk: „1227—1347 von Amsler in Berlin um 54 Thlr."

106
 
Annotationen