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T e c Ii n i k

in der Blütezeit der Bildwirkerei die Betriebe nicht zu Atem kommen ließen. Sollte
tatsächlich in den Gobelins, die sowohl Hautelisse wie Basselisse pflegten, dem Wirker
am Hochstuhl mehr Ruhe gegönnt worden sein, wie seinem Fachgenossen am tief-
schäftigen Gezeug? Der Abschnitt, der die Organisation des Pariser Staatsbetriebes
behandelt, zeigt zur Genüge, daß der «chef d'atelier" dem Hautelissier wie dem Basse-
lissier, die auf Grund der geleisteten Arbeit bezahlt wurden, die gleiche Anspannung,
die gleiche Mindestleistung zumutete.

Der Wirkprozeß — abgesehen von technischen Einzelheiten, die besondere Berück-
sichtigung finden — vollzieht sich am Hochstuhl folgendermaßen:

Der Tapissier trägt zunächst die Pause auf, und zwar nur für den Teil, den er in
Arbeit zu nehmen gedenkt. Die Kopie auf geöltem Papier oder Leinwand wird mit
Hilfe zweier angespitzter Stäbe in das Fach gesteckt, die Linien werden mittels
schwarzer Kreide — schwarze Tusche wurde auch in der Spätzeit gemieden, da sie
bei hellen Seiden leicht durchschimmerte — genau nachgezogen (Abb. 7). Es entsteht
ein Netz von zahllosen Punkten. In welcher Weise die Schatten und Übergangs-
konturen gekennzeichnet wurden, steht dahin; voraussichtlich dienten rote Kreiden
als Hilfsmittel. Wagrecht und senkrecht durchgezogene Hilfsachsen erleichterten wahr-
scheinlich die Orientierung. Außerdem wurden die Hauptpunkte des Kartons, etwa
die Höhen der Figuren — Schulter, Kopf, Schild usw. — sowohl auf der Vorlage
wie auf der gespannten Kette entsprechend markiert. Die fortschreitende Arbeit mußte
dann mit diesen Hauptpunkten zusammentreffen. Ein zweites Verfahren bestand darin,
die großen Umrisse der Patronen mit weißer Farbe auf schwarzer Gaze aufzureißen,
die in einem Rahmen eingespannte Lehre wurde von Zeit zu Zeit vergleichsweise auf
die Kette gelegt. Abweichungen der Arbeit waren nach beiden Methoden unschwer
festzustellen (12). Im übrigen vollzog sich die Schattengebung nach dem alten fest-
stehenden System, das die Arbeit nicht unwesentlich erleichterte. Die Lichtquelle ist
stets von oben links angenommen. Als Erzherzog Ferdinand von Tirol 1565 die in
Prag gezeichneten Patronen dem Brüsseler Meister zur Durchführung übersendet,
erhebt dieser gegen die Art der Lichtgebung energischen Einspruch. Van Eyssere,
der beauftragte Hofwirker, dem in der Hauptstadt Brabants die Überwachung der
Arbeiten obliegt, schreibt am 13. Oktober seinem fürstlichen Herrn, man wundere sich
baß „wegen des Tags oder Schatten, daß sy anders kumen, dann mans hie gewohn-
lich ist zu machen, dann er auf die bylder entgegen scheynt" (13). Der Brüsseler
Meister könne sich einen derartigen Verstoß nur durch ein „Übersehen" des Prager
Malers erklären. Van Eyssere erhält für seinen leicht erklärlichen Facheifer einen
derben Verweis. Es bleibt bei den Kartons, die augenscheinlich die Lichtquelle von
der rechten, statt der linken Seite annehmen.

Ist der pausende Wirker über irgendein Detail im unklaren, so hebt er die Kett-
fäden (Abb. 7) und vergewissert sich unschwer über die betreffenden Einzelheiten.

Ist die Pause erledigt, beginnt die Auswahl der Farben, die in besonderen Flieten-
kästen bereit gehalten werden.

Das Werkzeug des Hautelissiers, dieFliete „broche" (Abb. 8, Fig. 5), besteht in der Regel
aus Buchsbaum. Die Länge des Instrumentes wechselt zwischen 17 und 23 cm, je nach-
dem langer Schuß — etwa die gleichförmigen Töne des Himmels — oder kurzer Schuß
in Frage kommt; die Stärke beträgt etwa 1,5 cm (8 lignes). Die Beschickung erfolgt mittels
Spulrädern. Wollen- und Seidenmaterial muß im übrigen die gleiche Stärke besitzen.
Wird die Wollenfliete mit einem Faden beschickt, so erhält die Seidenfliete deren
zwei; bisweilen entsprechen zwei Wollenfäden — bei rasch zu erledigendem, ein-
farbigem Grund — fünf Seidenfäden. Genaue Normen lassen sich nicht geben, die
Kettfadenstärke ist ausschlaggebend für die Zusammensetzung des Einschlages.

Das lange zugespitzte Ende der Fliete dient zum Teilen des Faches und zum Nieder-
drücken des Schusses. Wird eine Fliete nicht mehr benutzt, bleibt sie an dem be-
treffenden Teile des Teppichs hängen, eine Schleife verhindert das Abgleiten.

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