T e c h n i k
Der Einschlag, der französische Wirker spricht von „assure", der Flame von „ins-
lach", vollzieht sich von links nach rechts. Der Tapissier greift mit den vier Fingern
der linken Hand unter das ungelitzte vordere Fach, der Daumen faßt von oben zu;
die Kettfäden werden in der gewünschten Anzahl gezogen; die rechte Hand fährt mit
den drei letzten Fingern in das geöffnete Fach. Daumen und Zeigefinger führen die
Fliete rückwärts ein, so daß sich der Faden in die Spalte legt (Abb. 9). Der halbe
„inslach" ist vollzogen. Der Faden wird mit der Spitze der Fliete niedergepreßt. Die
Linke zerrt nun mit Hilfe der Litzen das zweite hinter dem Kreuzstab gelegene Fach —
die Fäden 2, 4, 6, 8 — hervor; bei langem Schuß greifen die Finger nachhelfend unter
die Kettfäden. Die rechte Hand legt den Faden von rechts nach links in den Spalt;
der Daumen nimmt die Fliete in Empfang (Abb. 10). Der Schuß ist vollzogen. Wieder
erfolgt ein oberflächliches Festklopfen mit der Spitze. Im Schnitt der Ketten vollzieht
sich der Einschlag in den vier Phasen wie auf Abb. 11 wiedergegeben. Die Technik
stellt eine regelrechte Ripsbildung dar, mit dem Unterschiede, daß der Einschlag nicht
das ganze Kettenfach durchläuft, sondern sich auf die betreffende Farbenstelle beschränkt.
Das Niederschlagen mit der Fliete und die Bearbeitung mit dem Kamm preßt den
Schuß scharf zusammen. Die in der Ripsbildung sichtbare Kette verschwindet, der
Wolleneinschlag verfilzt sich, es entsteht eine einzige durchgehende Linie; die Kette
erscheint im Bilde als fortlaufende Erhöhung, als Rippe.
Die Erörterungen über die der Eigenart der Technik angemessene Bezeichnung
nehmen in der Literatur einen verhältnismäßig breiten Raum ein. Prof. Kumsch
bringt „FJechtgewebe" in Vorschlag (14). Dr. Fraunberger hält Bildweberei für die
einzige richtige Benennung, „Wirkerei" dagegen für unzutreffend und verwirrend; der
„terminus technicus" sei heutzutage mit dem Strick-, Häkel- und Strumpfwirker-
verfahren identisch. Meines Erachtens ist es durchaus unwesentlich, ob die moderne
Technik sich einer alten Bezeichnung zu Recht oder Unrecht bedient. Unbestrittene
Tatsache bleibt jedenfalls, daß der Verfertiger der Wandteppiche im deutschen Sprach-
gebrauche des 15. und 16. Jahrhunderts als Wirker, Würker in Erscheinung tritt; seine
Erzeugnisse figurieren als Wirkerei oder Tapetzerei. Mit dem gleichen Rechte müßte das
Wort „Gobelin" eine nicht unbedenkliche Umdeutung erfahren. Erweckt nicht der
Streit vor dem Berliner Landgericht I und dem 7. Zivilsenat des Kammergerichtes
Berlin ein leises Lächeln? In scharfen Eingaben verficht eine Interessentengruppe den
Standpunkt, die Benennung „Gobelin'1 treffe infolge jahrzehntelanger Gewöhnung in
erster Linie auf das Jacquardbildgewebe, ein rein maschinelles Erzeugnis, zu. Die
Kammergerichtsentscheidung vom J2. März 1913 wandelt das Urteil des Landgerichtes
vom 8. Mai 1912, das sich auf den rein kunsthistorischen Standpunkt stellt, dahin ab,
daß für die Jacquardgewebe die Warenbezeichnung „imitierte Gobelins" oder „in der
Fabrik hergestellte Gobelins" anzuerkennen sei (15).
Eine nicht minder umstrittene Frage betrifft den Unterschied zwischen Hautelisse-
und Basselissetechnik. Bislang wurde ein sichtbares Unterscheidungsmerkmal stets
verneint. Selbst der Dictionnaire universel de commerce von 1750 erklärt kurz und
bündig: „Toute la differance qui paroit aux yeux entre la haute lisse et la basse lisse
consiste en ce qu'ä la basse lisse il y a un filet rouge (einen roten Faden), large
d'environ une ligne (2 mm), qui est mis de chaque cöte du haut en bas, et qu'ä la
Hautelisse ce filet n'y est point". Bislang ist mir dieser rote Faden noch bei keinem
Wandteppich zu Gesicht gekommen; wahrscheinlich handelt es sich um eine Maß-
nahme, die bei der Pariser Staatsmanufaktur zeitweilig durchgeführt wurde.
Dem angeblich völlig gleichen Habitus der Hautelisse- und Basselissearbeiten — die
Spiegelbilderscheinung der tieflitzigen Technik bleibt zunächst unberücksichtigt —
widerspricht die Tatsache, daß in zahlreichen Fällen die sachkundigen Beauftragten
einkaufender Fürsten und Herren bei gebrauchten Folgen ohne Schwierigkeiten einst
an der Technik erkannten, um welche Art Arbeit es sich handelte. Es müssen also
rein handwerkliche Merkmale vorhanden sein.
Vergegenwärtigen wir uns nochmals den Vorgang des Einschlages. Vor dem Kreuz-
7
Der Einschlag, der französische Wirker spricht von „assure", der Flame von „ins-
lach", vollzieht sich von links nach rechts. Der Tapissier greift mit den vier Fingern
der linken Hand unter das ungelitzte vordere Fach, der Daumen faßt von oben zu;
die Kettfäden werden in der gewünschten Anzahl gezogen; die rechte Hand fährt mit
den drei letzten Fingern in das geöffnete Fach. Daumen und Zeigefinger führen die
Fliete rückwärts ein, so daß sich der Faden in die Spalte legt (Abb. 9). Der halbe
„inslach" ist vollzogen. Der Faden wird mit der Spitze der Fliete niedergepreßt. Die
Linke zerrt nun mit Hilfe der Litzen das zweite hinter dem Kreuzstab gelegene Fach —
die Fäden 2, 4, 6, 8 — hervor; bei langem Schuß greifen die Finger nachhelfend unter
die Kettfäden. Die rechte Hand legt den Faden von rechts nach links in den Spalt;
der Daumen nimmt die Fliete in Empfang (Abb. 10). Der Schuß ist vollzogen. Wieder
erfolgt ein oberflächliches Festklopfen mit der Spitze. Im Schnitt der Ketten vollzieht
sich der Einschlag in den vier Phasen wie auf Abb. 11 wiedergegeben. Die Technik
stellt eine regelrechte Ripsbildung dar, mit dem Unterschiede, daß der Einschlag nicht
das ganze Kettenfach durchläuft, sondern sich auf die betreffende Farbenstelle beschränkt.
Das Niederschlagen mit der Fliete und die Bearbeitung mit dem Kamm preßt den
Schuß scharf zusammen. Die in der Ripsbildung sichtbare Kette verschwindet, der
Wolleneinschlag verfilzt sich, es entsteht eine einzige durchgehende Linie; die Kette
erscheint im Bilde als fortlaufende Erhöhung, als Rippe.
Die Erörterungen über die der Eigenart der Technik angemessene Bezeichnung
nehmen in der Literatur einen verhältnismäßig breiten Raum ein. Prof. Kumsch
bringt „FJechtgewebe" in Vorschlag (14). Dr. Fraunberger hält Bildweberei für die
einzige richtige Benennung, „Wirkerei" dagegen für unzutreffend und verwirrend; der
„terminus technicus" sei heutzutage mit dem Strick-, Häkel- und Strumpfwirker-
verfahren identisch. Meines Erachtens ist es durchaus unwesentlich, ob die moderne
Technik sich einer alten Bezeichnung zu Recht oder Unrecht bedient. Unbestrittene
Tatsache bleibt jedenfalls, daß der Verfertiger der Wandteppiche im deutschen Sprach-
gebrauche des 15. und 16. Jahrhunderts als Wirker, Würker in Erscheinung tritt; seine
Erzeugnisse figurieren als Wirkerei oder Tapetzerei. Mit dem gleichen Rechte müßte das
Wort „Gobelin" eine nicht unbedenkliche Umdeutung erfahren. Erweckt nicht der
Streit vor dem Berliner Landgericht I und dem 7. Zivilsenat des Kammergerichtes
Berlin ein leises Lächeln? In scharfen Eingaben verficht eine Interessentengruppe den
Standpunkt, die Benennung „Gobelin'1 treffe infolge jahrzehntelanger Gewöhnung in
erster Linie auf das Jacquardbildgewebe, ein rein maschinelles Erzeugnis, zu. Die
Kammergerichtsentscheidung vom J2. März 1913 wandelt das Urteil des Landgerichtes
vom 8. Mai 1912, das sich auf den rein kunsthistorischen Standpunkt stellt, dahin ab,
daß für die Jacquardgewebe die Warenbezeichnung „imitierte Gobelins" oder „in der
Fabrik hergestellte Gobelins" anzuerkennen sei (15).
Eine nicht minder umstrittene Frage betrifft den Unterschied zwischen Hautelisse-
und Basselissetechnik. Bislang wurde ein sichtbares Unterscheidungsmerkmal stets
verneint. Selbst der Dictionnaire universel de commerce von 1750 erklärt kurz und
bündig: „Toute la differance qui paroit aux yeux entre la haute lisse et la basse lisse
consiste en ce qu'ä la basse lisse il y a un filet rouge (einen roten Faden), large
d'environ une ligne (2 mm), qui est mis de chaque cöte du haut en bas, et qu'ä la
Hautelisse ce filet n'y est point". Bislang ist mir dieser rote Faden noch bei keinem
Wandteppich zu Gesicht gekommen; wahrscheinlich handelt es sich um eine Maß-
nahme, die bei der Pariser Staatsmanufaktur zeitweilig durchgeführt wurde.
Dem angeblich völlig gleichen Habitus der Hautelisse- und Basselissearbeiten — die
Spiegelbilderscheinung der tieflitzigen Technik bleibt zunächst unberücksichtigt —
widerspricht die Tatsache, daß in zahlreichen Fällen die sachkundigen Beauftragten
einkaufender Fürsten und Herren bei gebrauchten Folgen ohne Schwierigkeiten einst
an der Technik erkannten, um welche Art Arbeit es sich handelte. Es müssen also
rein handwerkliche Merkmale vorhanden sein.
Vergegenwärtigen wir uns nochmals den Vorgang des Einschlages. Vor dem Kreuz-
7