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Technik

strichen werden, so setzt der Wirker in der gewünschten Kurve die senkrechten Stufen
_im aufgehängten Teppich erscheinen die Schlitze dann horizontal — länger wie ge-
wöhnlich; es entstehen winzige Spalten, die durch das Gewicht des Teppichs sich
erweitern und eine klar erkennbare zarte Linie bilden (Abb. -40). Das gleiche Verfahren
wird für die Rundung des Kinnes, die Profilierung der Nase, das Herausarbeiten der
Fingerknöchel oder der Kniescheibe, für die Detaillierung der Wolken und in unend-
lich vielen anderen Fällen angewandt. Die künstlerisch vollendet durchgeführte Schlitz-
bildung gehört, trotz der an und für sich einfachen Technik, zu den schwierigsten
Kunstgriffen der Bildwirkerei; sie ist das wesentlichste Kriterium des mustergültig ge-
arbeiteten Wandteppichs. ^

Vielfach gilt es als Fehler, wenn die Schraffen nicht genau senkrecht zum Kett-
fach verlaufen. Der Vorwurf ist nur für gewisse Epochen und selbst dann mit
starken Einschränkungen berechtigt. Die langen senkrechten Schraffen sind namentlich
charakteristisch für die niederländischen Arbeiten des 15. Jahrhunderts. Schon im

16. Säkulum findet sich vereinzelt das Bestreben, die Schraffen der Form der Kon-
tur anzupassen, d. h. sie von vornherein geschwungen anzulegen. Im 17. Jahrhundert
wird die Methode weiter ausgebaut. Als Regel tritt das Verfahren auf, wenn es gilt
Früchte oder Blattwerk plastisch durchzubilden. Immerhin bleiben die gebogenen
Schraffen ein Fremdkörper in der Bildwirkerei der Niederlande; sie sind in erster
Linie charakteristisch für die Manufakturen Frankreichs. Die Einzelheiten, die als
Ateliererkennungsmerkmal eine gewisse Rolle spielen, finden in dem zweiten Bande
meiner „Wandteppiche« eingehendere Berücksichtigung. Auch eine zweite Eigentüm-
lichkeit scheint dem Kunstkreise des südlichen Nachbarn entnommen zu sein, die Ein-
fügung von Farbenflecken unter Ausschluß der Schraffen. Handelt es sich z. B. um den
Umschlag eines Blattes, so wird die schwere Schattenstelle kurzerhand durch einen
schwarzbraunen oder tiefgrünen Farbenüeck charakterisiert, auf den sich unmittelbar
das helle Grün aufbaut. Die Methode findet sich u. a. in den Frührenaissancearbeiten
von Felletin, z. B. in der Heldenfolge von Saint Maixent (25). Sie wird von den Manu-
fakturen Flanderns mit Begeisterung aufgenommen, spart sie doch erheblich an Zeit
und Mühe. Auch Brüssel verwertet namentlich für kleine Flächen die Technik, die im

17. Säkulum mit der Einführung der Ölfarbenkartons stark an Einfluß gewinnt. Nicht
ohne Interesse ist die Wiedergabe der Weintrauben in den Bordüren ein und des-
selben Behanges. Der eine Wirker löst die Schatten seiner blauen oder grünen Beeren
nach altüberkommener Weise mit Hilfe geschickt gesetzter Schraffen; ein zweiter
arbeitet nach dem gleichen System, mischt aber, um die schimmernde Wirkung zu
erreichen, blaue und weiße bzw. grüne und gelbweiße Seiden auf der gleichen Fliete;
daneben erscheinen die Schatten entsprechend der Vorzeichnung des Kartons als un-
mittelbar in den hellen Grund gesetzte Farbenflecken.

Die einwandfreie, systematische Klärung der einzelnen Manufakturen an Hand ihrer
charakteristischen technischen Eigentümlichkeiten bereitet außerordentliche Schwierig-
keiten. Nennenswerte Vorarbeiten sind noch nicht vorhanden. Auf Grund der von
mir durchgeprüften Wandteppiche der verschiedensten Ateliers läßt sich mit Sicher-
heit behaupten, daß derartige Charakteristika für bestimmte Manufakturen, ja für Atelier-
gruppen der' gleichen Wirkerstadt aufstellbar sind. Ein gewisses Ineinanderfließen
einzelner Werkstätten ist natürlich unvermeidlich. Brüsseler Meister gründen Manu-
fakturen im fremden Lande; die Arbeiten zeigen zunächst unverkennbar brabantisches
Gepräge; nach einem Jahrzehnt des Bestehens weist die Struktur des Teppichs — ein-
heimische Hilfskräfte sind angenommen, die Materialienzufuhr ist auf völlig neue Basis
gestellt — bereits bemerkenswerte Eigenarten auf. Wie genau die zeitgenössischen
Wirker technische Merkmale zu erkennen wußten, zeigen am besten die bekannten
Berichte des Pariser Meisters, der um 1695 die flämischen und französischen Ateliers
einem eingehenderen Studium unterzog.

Der Sachverständige sagt von Amiens, das Atelier verwende zwar gut eingefärbte
Wollen, die Zeichnung sei dagegen bisweilen mangelhaft uet il est fort facile de re-

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