Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Deutung

Die Anordnung weicht von dem üblichen Schema ab. Helden und Heldinnen treten
paarweise unter einer Art Baldachin — pavillon — auf, nur Bertrand du Guesclin
bleibt allein. Von bemerkenswerten Bildteppichen in savoyischem Besitze ist in erster
Linie zu erwähnen: Ung aultre grant pang de tappisserie ä grans personnages de Sa-
turnus et Jupiter et de la destruction de troye ä escripteauls dessus (54).

Die Folgen Meleagers, Alexanders, die Geschichte der Placidia («placides"), Hanni-
bals, des Dionysius, eine «Chambre de Pharaon", die «Histoire de Golias" (Goliath)
befanden sich 1498 im Turiner Schlosse.

Von religiösen Wirkereien ist die wesentlichste ein kleineres Stück woü sont les
estatz qui prient l'ung pour l'autre"; es handelt sich augenscheinlich um einen reichen
Brüsseler Bildteppich, der den Kaiser mit seiner Gefolgschaft, den Papst mit der Geist-
lichkeit und die Vertreter des Adels im Gebete vor dem Throne des Höchsten darstellt.

Die Inventarbeschreibungen der religiösen Wirkereien sind, im Gegensatze zu den
bisher besprochenen Themen, auffallend kurz und trocken. Der Grund mag darin
zu suchen sein, daß der protokollierende Beamte ausführlichere Angaben bei einer
Materie, die jedem bis in die Einzelheiten bekannt und geläufig sein mußte, für über-
flüssig erachtete. Selbst die vatikanischen Verzeichnisse, die fortgelassen wurden, um
den vergleichenden Stoff nicht übermäßig zu belasten, bringen nichts wesentlich Neues.

Interessanter ist schon das Inventar der Pariser Kirche Sainct-Sepulcre vom Jahre
1379. Es zählt ein umfangreiches Madonnenleben auf: uLa gezaine (Mariens Wochen-
bett — Christi Geburt) Notre-Dame et les Trois Rois de Coulongne; Comment Nostre
Seigneur presche aux juifs en son enfance; la Remembrance Nostre Seigneur quand il
va ä l'escolle; l'Annonciation et le Couronnement de Notre Dame; Notre Dame et les
III Rois de Coulongne; la Passion et la R^surrection Nostre Seigneur; Comment Nostre
Seigneur entra en Jerusalem." Einen Bildteppich mit den sieben Freuden Mariä er-
wirbt Philipp der Gute 1434/35 von dem Arraser Händler Jehan Walois.

Die überwiegende Mehrzahl der Heiligenfolgen läßt sich durch die Legenda aurea
des genuesischen Bischofs Jacobus de Voragine im wesentlichen erklären (55). „Der
Heiligen Leben und Leiden, anders genannt das Passional" (56) kommt für Arbeiten
der Spätzeit in Frage. Von Bedeutung sind bisweilen die niederdeutschen Fassungen
(1485) von Ludewich van Renschen und die niederländische Version (1490) von Peter
van Os. Nur in vereinzelten Fällen, bei wenig bekannten Schutzheiligen, muß ein
örtliches Lectionarium zu Rate gezogen werden.

Es fehlt naturgemäß auch nicht an Vorwürfen komplizierterer Art. Der Leitfaden
für die Wirkereien mit den Legenden St. Urbans und der heiligen Cäcilie für die
Kollegialkirche St, Urban in Troyes arbeitet nach dem „Historischen Spiegel" des
Vinzentius von Beauvais, den Chroniken des St. Antonin und des Martinus Polonus,
auch der Fasciculus Temporum des Karthäusers Werner Rolevinck in der französischen
Übertragung des P. Farget (1474) ist zu Rate gezogen.

Im allgemeinen bevorzugt die Kunst des französischen und burgundischen Hofes die
standesgemäßen Heiligen — die phantastischen, farbenfrohen Darstellungen aus dem
Lebensgange der orientalischen Glaubenszeugen, in der Art der indischen Wander-
schaft des Apostels Thomas, gehören leider zu den großen Seltenheiten —; sie wählt
mit Vorliebe den ritterlichen St. Georg, bisweilen auch St. Theodor (St. Mauritius).
Schon seltener würdigt man Gelehrte, wie St. Dionysius oder die heilige Katharina
als Vorbild reicher Wirkereifolgen. Das Nachlaßinventar Johanns von Berry nennt
einen „tappis de Magdelaine", wahrscheinlich ein vereinzeltes Stück aus einer Christus-
serie, ferner ein Andreasleben. Auf dem gleichen Gedankengange beruht die Auswahl
der alttestamentlichen Stoffe; die Geschichte Davids, Jephtas, die Kämpfe Samsons und
die ritterlichen Taten der Makkabäer kommen in erster Reihe in Frage.

Gern wird in der Spätzeit auch die mit zahlreichen begleitenden Episoden aus-
geschmückte Geschichte der Kaiserin Helena als Motiv gewählt. Der Einfluß der
Mysterienspiele läßt sich unschwer nachweisen. Das in einem Manuskript noch er-
haltene Mysterium von der Kreuzfindung durch Helena und der Kreuzerhöhung durch

74
 
Annotationen