D e u t u n g
Crainte dTnfamie, Desir d'Honneur und andere mehr (104). Niemals überwuchern die
Figuren den lebensbejahenden, antiken Geist.
Leicht verständlich ist der Triumph des Nachruhms über den Tod. Zwei Elefanten
ziehen den Wagen. Renommee erscheint als geflügelte Viktoria; mit einer riesigen
vierteiligen Posaune verkündet sie den Ruhm in alle vier Winde. Clotho, Lachesis,
Atropos sterben unter den Rädern; Karl der Große, Plato, Alexander der Große,
Aristoteles, Homer, Cicero und Virgil bilden die Begleitmannschaft. Die Anordnung
deckt sich in gewissen Zügen mit dem Triumphe der Fama, der am Tage vor Ascher-
mittwoch des Jahres 1492 mit feierlichem Gepränge in Neapel vor sich ging. Auch
hier erscheinen zwei Elefanten, von zwei Giganten geführt, als Zugtiere (105).
Der Triumph des Ruhmes gewinnt in Flandern und Nordfrankreich die weiteste
Ausbreitung und läßt die übrigen Episoden des Zyklus stark in den Hintergrund treten
(Abb. 77).
Ein Blick in den «Cörömonial Francois" des Theodor Godefroy, vom Jahre 1649,
in dem die wesentlichsten Einzüge der französischen Fürsten und Fürstinnen an Hand
älterer Literaten mit ausreichender Genauigkeit geschildert werden, zeigt die außerordent-
liche Beliebtheit gerade dieses Triumphes. Die Tatsache ist leicht erklärlich. Die Ver-
herrlichung des Nachruhms ist zugleich die eindringlichste Schmeichelei für den
Herrscher, dem der Triumphzug gilt. Weder in den ehemals burgundischen, noch in
den französischen Landen bürgert sich die Sitte ein, den Fürsten selbst auf einen der carri
trionfali zu nötigen. Der Landesherr erscheint hoch zu Roß (Abb. 75); die anschließende
Wagenreihe bringt die Schilderung seiner Ruhmestaten. Die Embleme der Fama
wechseln häufig. Beim Einzüge Heinrichs H. in Rouen (1550) ziehen vier weiße Rosse
den Wagen der Renommee, die in die Posaune stößt; an einer Kette liegt der ge-
fesselte Tod. Drei Jahre zuvor hat der Herrscher, gelegentlich seines Krönungseinzuges
in Reims, bereits die gleiche allegorische Gestalt kennen gelernt. Sie erscheint mit
verschiedenen anderen Figuren auf einem der zahlreichen «eschaffaults". «Renommee
tenoit un mirouer, pour signifier que le Roy doit estre doue de toutes sortes de
vertus, et que ses actions doivent servir de modele ä ses sujets."
«Der Triumph der Zeit über den Ruhm" und «Der Triumph der Ewigkeit über
die Zeit" schließen die Wiener Teppichfolge. Namentlich der letztere Behang ist nicht
ohne Interesse (Abb. 76). Auf dem Wagen thront die Dreieinigkeit in einer Formel,
wie sie uns unendlich oft in den Mysterienspielen und dementsprechend in der bil-
denden und angewandten Kunst entgegentritt, Emile Male entwickelt ausführlich den
Ursprung und erläutert als typisches Beispiel an Hand des Sugerschen «De Rebus in
administratione sua gestis" die Glasmalereien von Saint-Denis (106).
Gott Vater hält den am Kreuze hängenden Sohn; der Stamm des Marterholzes steht
auf dem Triumphwagen des Hohenliedes, der «quadriga des Aminadab". Der Wagen
wird von den Tieren der Evangelisten gezogen.
In starker Anlehnung wiederholt sich die Formel auf unserem Teppich; als Begleiter
erscheinen die vier lateinischen Kirchenväter Ambrosius, Augustinus, Hieronymus und
Gregor. Der Boden ist besät mit den Körpern der Besiegten: Cupido, Chastete, die
drei Parzen, Renommee und Temps. Die flämisch-französische Tradition tritt in diesem
letzten Stücke besonders klar hervor. Petrarca verzichtet bei dem Triumphe der
Ewigkeit auf jedes Programm; der gelehrten Spekulation ist Tor und Tür geöffnet.
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erscheinen in Paris bei Charles le Vigoureux
die «Figures de la Bible". Die erläuternden Stiche sind zum Teil fast wörtliche
Wiederholungen der Wiener Reihe. Es ist kaum anzunehmen, daß die Teppiche als
Leitfaden dienten. Sollte eine verloren gegangene Holzschnittfolge das Vorbild ab-
gegeben haben? (107).
Im stärksten Gegensatze zu dieser, noch völlig von dem grübelnden Geiste der Dogmatik
erfüllten Reihe, stehen die Triumphzüge Giulio Romanos, die mit zahlreichen Teppich-
folgen im zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts ihren Siegeszug antreten und dem
«wahren" Wesen der Antike die Bahn ebnen. Jede Beziehung zu altvertrauten Sym-
105
Crainte dTnfamie, Desir d'Honneur und andere mehr (104). Niemals überwuchern die
Figuren den lebensbejahenden, antiken Geist.
Leicht verständlich ist der Triumph des Nachruhms über den Tod. Zwei Elefanten
ziehen den Wagen. Renommee erscheint als geflügelte Viktoria; mit einer riesigen
vierteiligen Posaune verkündet sie den Ruhm in alle vier Winde. Clotho, Lachesis,
Atropos sterben unter den Rädern; Karl der Große, Plato, Alexander der Große,
Aristoteles, Homer, Cicero und Virgil bilden die Begleitmannschaft. Die Anordnung
deckt sich in gewissen Zügen mit dem Triumphe der Fama, der am Tage vor Ascher-
mittwoch des Jahres 1492 mit feierlichem Gepränge in Neapel vor sich ging. Auch
hier erscheinen zwei Elefanten, von zwei Giganten geführt, als Zugtiere (105).
Der Triumph des Ruhmes gewinnt in Flandern und Nordfrankreich die weiteste
Ausbreitung und läßt die übrigen Episoden des Zyklus stark in den Hintergrund treten
(Abb. 77).
Ein Blick in den «Cörömonial Francois" des Theodor Godefroy, vom Jahre 1649,
in dem die wesentlichsten Einzüge der französischen Fürsten und Fürstinnen an Hand
älterer Literaten mit ausreichender Genauigkeit geschildert werden, zeigt die außerordent-
liche Beliebtheit gerade dieses Triumphes. Die Tatsache ist leicht erklärlich. Die Ver-
herrlichung des Nachruhms ist zugleich die eindringlichste Schmeichelei für den
Herrscher, dem der Triumphzug gilt. Weder in den ehemals burgundischen, noch in
den französischen Landen bürgert sich die Sitte ein, den Fürsten selbst auf einen der carri
trionfali zu nötigen. Der Landesherr erscheint hoch zu Roß (Abb. 75); die anschließende
Wagenreihe bringt die Schilderung seiner Ruhmestaten. Die Embleme der Fama
wechseln häufig. Beim Einzüge Heinrichs H. in Rouen (1550) ziehen vier weiße Rosse
den Wagen der Renommee, die in die Posaune stößt; an einer Kette liegt der ge-
fesselte Tod. Drei Jahre zuvor hat der Herrscher, gelegentlich seines Krönungseinzuges
in Reims, bereits die gleiche allegorische Gestalt kennen gelernt. Sie erscheint mit
verschiedenen anderen Figuren auf einem der zahlreichen «eschaffaults". «Renommee
tenoit un mirouer, pour signifier que le Roy doit estre doue de toutes sortes de
vertus, et que ses actions doivent servir de modele ä ses sujets."
«Der Triumph der Zeit über den Ruhm" und «Der Triumph der Ewigkeit über
die Zeit" schließen die Wiener Teppichfolge. Namentlich der letztere Behang ist nicht
ohne Interesse (Abb. 76). Auf dem Wagen thront die Dreieinigkeit in einer Formel,
wie sie uns unendlich oft in den Mysterienspielen und dementsprechend in der bil-
denden und angewandten Kunst entgegentritt, Emile Male entwickelt ausführlich den
Ursprung und erläutert als typisches Beispiel an Hand des Sugerschen «De Rebus in
administratione sua gestis" die Glasmalereien von Saint-Denis (106).
Gott Vater hält den am Kreuze hängenden Sohn; der Stamm des Marterholzes steht
auf dem Triumphwagen des Hohenliedes, der «quadriga des Aminadab". Der Wagen
wird von den Tieren der Evangelisten gezogen.
In starker Anlehnung wiederholt sich die Formel auf unserem Teppich; als Begleiter
erscheinen die vier lateinischen Kirchenväter Ambrosius, Augustinus, Hieronymus und
Gregor. Der Boden ist besät mit den Körpern der Besiegten: Cupido, Chastete, die
drei Parzen, Renommee und Temps. Die flämisch-französische Tradition tritt in diesem
letzten Stücke besonders klar hervor. Petrarca verzichtet bei dem Triumphe der
Ewigkeit auf jedes Programm; der gelehrten Spekulation ist Tor und Tür geöffnet.
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erscheinen in Paris bei Charles le Vigoureux
die «Figures de la Bible". Die erläuternden Stiche sind zum Teil fast wörtliche
Wiederholungen der Wiener Reihe. Es ist kaum anzunehmen, daß die Teppiche als
Leitfaden dienten. Sollte eine verloren gegangene Holzschnittfolge das Vorbild ab-
gegeben haben? (107).
Im stärksten Gegensatze zu dieser, noch völlig von dem grübelnden Geiste der Dogmatik
erfüllten Reihe, stehen die Triumphzüge Giulio Romanos, die mit zahlreichen Teppich-
folgen im zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts ihren Siegeszug antreten und dem
«wahren" Wesen der Antike die Bahn ebnen. Jede Beziehung zu altvertrauten Sym-
105