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Deutung

Es ist bedauerlich, daß Giulio Romano, einem ausgesprochenen Manieristen, die
Hauptrolle in der Gestaltung und Lösung der Triumphe „all'antica" zufallen sollte.
Seltsamerweise übt der monumentale „Triumph Cäsars", den Mantegnas Meisterhand
für Herzog Francesco Gonzaga schuf, keinen nennenswerten Einfluß auf die Patronen-
maler des 16. Jahrhunderts. Die reliefartig geschlossenen Schilderungen atmen trotz
ihrer wuchtigen Schwere den wahren Geist neu erwachter Antike; die dekorativ
phantastische Ausgestaltung des Beiwerks macht den Zyklus in hohem Maße für die
Übertragung in kostbare Wandbehänge geeignet. Zu Unrecht werden dem großen
Mantuaner Künstler verschiedentlich reiche Bildteppichfolgen zugeschrieben, wie die
vier Behänge im Justizpalaste zu Barcelona — die Triumphe der Liebe, der Keuschheit,
der Zeit und des Nachruhms —, Umarbeitungen im Sinne der besprochenen Wiener
Folge (109).

Das Streben Giulio Romanos zielt, im Gegensatze zu Mantegnas machtvoller Auf-
fassung, vor allem darauf hin, möglichst weitgehend den rein formalen Charakter der
Antike vorzutäuschen. Entwirft Meister Giulio seine Bildteppichreihen noch in ein-
heitlichem Gusse, so machen sich die meisten seiner Nachfolger die Arbeit wesentlich
leichter. Die Architekturskizzen der Raffaelschule, die das römische Trümmerfeld in
ausgiebiger Weise als Studienobjekt benutzt, werden nach Bedarf kulissenartig in den
Hintergrund gefügt. Bei flämischen Bildwirkereien aus der zweiten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts ist es durchaus keine Seltenheit, wenn die eine Hälfte des Hintergrundes
mit flämischen Bauernhäusern und seltsamen Felsengebilden, die andere mit der Wieder-
gabe römischer Ruinen und Obelisken ausgefüllt wird (Abb. 374).

Die Arbeit d'Astiers „La belle tapisserye du Roy", die die Mehrzahl der bislang
bekannt gewordenen Teppichfolgen der Triumphe Scipios nach den Romanoschen
Entwürfen unter einheitlichen Gesichtspunkten gruppiert, erleichtert nicht unwesent-
lich die Klärung des Motives; bedauerlicherweise legt der verdienstvolle Autor den
ikonographischen Fragen nur eine untergeordnete Bedeutung bei.

Ein Blick auf die Entwurfskizzen und die ausgeführten Teppiche zeigt ohne weiteres
die Eigenart Romanos. Jede Anlehnung an die zeitgenössischen Trachten, jene köst-
liche Mischung zwischen Antike und 16. Säkulum ist ängstlich vermieden. Wir er-
blicken einen Römerzug, der zweifelsohne den Zeitgenossen Giulios als Musterbild
wahrer Antike erscheinen mußte, der bei dem heutigen Beschauer dagegen lediglich
den Eindruck einer verunglückten Maskerade auslöst. Verschiedentlich sind antike
Reliefs und Statuen unverändert den Wirkereikartons eingefügt. Der „Triumph Sci-
pios" umfaßt in dem sogenannten „großen Scipio", den Romano wahrscheinlich für
den Brüsseler Wirker Marc Cretif um 1530 schuf, insgesamt neun Teppiche. Opfer-
tiere und Elefanten eröffnen den Zug, die Posaunisten und Träger der militärischen
Abzeichen marschieren dem Heerbanne über die von antiken Bildsäulen und Sphinxen
flankierte Brücke voraus (Abb. 78). Reiter in unabsehbarer Zahl ziehen, von neu-
gierigen Frauen und Kindern umdrängt, an dem Monte Cavallo und dem Zirkus vor-
über. Es folgen die numidischen Könige an der Spitze ihrer unglücklichen Volks-
genossen, römische Kriegsknechte treiben die Gefangenen unter brutalen Mißhand-
lungen vorwärts; der Pöbel weiß sich nicht genug zu tun an Hohn und Spott. Im
Hintergrunde erhebt sich eine reich mit Götterbildern geschmückte Säulenhalle. Der
Eindruck des Bildteppichs ist wenig erfreulich. Dem gefangenen Syphax folgt der
Triumphwagen Scipios, den vier Viktorien umschweben. Der letzte Behang mit dem
Einzüge des siegreichen Heeres in das Kapitol — Kriegergestalten tragen reiche Ehren-
gaben, darunter ein prächtig durchgeführtes Architekturmodell, goldene Vasen und
Zierschüsseln — dürfte das ansprechendste Stück der Folge sein.

Der „große" und „kleine" Scipio Romanos bleibt nicht ohne Einfluß auf die Ateliers
Flanderns und Brabants. Er trägt in erster Linie mit zu der Schematisierung der
Bild Wirkerei bei. Der intime Reiz schwindet; die prächtigen Brokatgewänder werden
verpönt; Anachronismen, das Verschmelzen der Antike mit dem eigenen Zeitgeschmacke,
zählen — wenn auch nur vorübergehend — zu Kompositionsfehlern schlimmster Art.

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