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D e u t u n g

Es entsteht ein unpersönliches, kühl-zeremonielles, unendlich langweiliges Bildteppich-
schema. Weißbach bringt in seinen Trionfi(llO) eine Stelle aus dem Dialog Lodovico
Dolces über die Malerei „Aretino" und den Begriff des „Angemessenen", des „decoro",
die wie ein Leitfaden zu Romanos Teppichentwürfen klingt. Dolce fordert, daß bei
Bilddarstellungen auf Nationalität, Sitten, Gegenden und Zeitepochen genaueste Rück-
sicht zu nehmen sei. „Bei Waffentaten Casars oder Alexanders des Großen ist es
unangenehm, wenn die Soldateu so bewaffnet sind wie heute; Mazedoniern sind
andere Waffen zu geben als Römern. Lächerlich ist es, Caesar mit einem türkischen
Turban, einer Kappe gleich der unseren oder in venetianischer Tracht auszustatten."

Romano arbeitet bei dem Entwürfe seines Scipionischen Triumphes naturgemäß
nach literarischen Quellen seiner Zeit. Maßgebend sind für ihn Titus Livius (XXX,
Kap. 45), die einschlägigen Verse des Silius Italicus und das Petrarcasche Epos
„Afrika" (111). Der Umstand erklärt verschiedene grobe historische Unrichtigkeiten,
wie das Auftreten des Syphax, der schon lange nicht mehr unter den Lebenden weilte.

Der gesunde Geist des flämischen Teppichwirkers, der klar erkennt, daß der Wert
seiner Erzeugnisse, schon allein durch die Kostbarkeit des Materials und die Lang-
wierigkeit der Herstellung, in der reichen Ausgestaltung der Einzelheiten, in der fest-
lich frohen Behandlung der Gewänder, der Architekturen und des Hintergrundes ruht,
bewahrt uns vor einem radikalen Siege der Romanoschen Richtung. Es bildet sich
ein Mischstil heraus, die Fortsetzung des Orleytyps aus den beiden ersten Dezennien
des 16. Jahrhunderts, der in glücklichem Formempfinden die Petrarcaschen Triumphe
ualla francese" mit dem Geiste der Raffaelschule „all' antica" verschmilzt.

Die Madrider Reihe der sieben Todsünden, einst im Besitze der Statthalterin Maria
von Ungarn, und eine Triumphfolge nach Petrarca, die sich beide in mehrfachen Wieder-
holungen erhalten haben, sind typische Beispiele dieser Gattung.

Die „Sieben Todsünden" haben mit dem alten Kampfe der Tugenden und Laster
nichts mehr gemein. Wir erblicken regelrechte, mit überwältigendem Pompe und
zahlreichen allegorischen Figuren ausgestattete Triumphzüge, zu denen ein geschulter
Literat Pate stand, der die Petracarschen Trionfi und zum mindesten auch die ein-
schlägigen Stellen aus Ovid und Virgil gründlich beherrschte.

Die Reihe wurde, wie schon erwähnt, von Maria von Ungarn in Auftrag gegeben
und war für Schloß Binst bestimmt (112). 1549 beschreibt Calvete de Estrella gelegent-
lich des Besuches Königs Philipps 11.(113) zum ersten Male die Folge; noch häufig spielen
die prächtigen Teppiche eine glänzende Rolle. 1575 schmücken sie bei der Zusammen-
kunft des „Rey Prudente" mit Sebastian von Portugal das Kloster Guadelupe. „Su-
perbia" ist der einzige Behang der Serie, der der Zeit oder dem Unverstände zum
Opfer fiel. Die zweite Wiederholung im spanischen Staatseigentum — vier Behänge,
darunter auch Superbia — stammt aus dem 1567 konfiszierten Besitze des Grafen von
Egmont. Eine dritte Kopie — sieben Teppiche — birgt der Wiener Textilienschatz.
Ein einzelnes Stück — Avaritia — findet sich in der Sammlung Palmer in London.

Zur Klärung genügt die Beschreibung eines der Behänge. Wählen wir den Geiz,
der bei der Erläuterung des Kampfes der Tugenden und Laster gleichfalls als Muster-
beispiel diente (Abb. 79). Die lateinische Inschrift in der Mitte der oberen Bordüre

„Semper eget sitiens Mediis ceu Tantalus undis,
Inter anhelatas Semper avarus opes"
wirkt wie eine programmartige Einführung.

Avaritia thront als Frauengestalt mit Drachenflügeln — der Drache ist der Behüter
der Schätze — auf einem prächtig geschmückten Triumphwagen. Auf der Stirne
krümmen sich zwei kleine Hörner, das Abzeichen der Dienerinnen des Bösen; die
Krallenfüße sind das den Flügeln entsprechende Emblem des beuteschützenden Drachen.
In gebückter Haltung wühlt Geiz in einer bis zum Rande mit Goldstücken gefüllten
Truhe. Wagen und Thronsitz zeigen stark italienisierte Formen; ein gewisser Über-
schwang der Embleme — Rechnungen, Schuldbücher und dergl. —, der an die
Dürersche Auffassung in Maximilians Triumphzug erinnert, macht sich bemerkbar.

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