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Deutung

Das Gefährt zieht ein Greif, vor ihm im Staube liegt ein abgeschlagenes Haupt. Es
handelt sich augenscheinlich um einen Rückgriff auf die Bestiarienliteratur. Nach Bar-
tholomaeus Anglicus sind die Greifen die Wächter weitentlegener Höhen, die in ihrem
Innern reiche Schätze an Smaragden und Jaspis bergen.

Eine Fahnenträgerin eröffnet den Zug, in der Linken das Banner mit dem bekannten
Bilde des Hamsters. Verschiedene Sagengestalten erläutern das Wesen der Darstel-
lung; sie bilden zugleich die Begleitmannschaft. Am augenfälligsten in Erscheinung
tritt König Midas mit Krone und Eselsohren, dem seltsamen Attribut, das Apoll dem
ebenso geizigen wie reichen phrygischen Fürsten, der sich als schlechter Musikkritiker
erwies, einst zudiktierte. Der Autor der Szene kennt die antiken Literaten genau;
es versäumt nicht, dem langohrigen Fürsten den Esel als Reittier beizugeben, der ihm
in seiner ursprünglichen Gestalt als phrygischer Silen im Dienste der Kybele zusteht.
Der Baumzweig in der Hand des Königs kann doppelte Bedeutung haben. Er spielt
wahrscheinlich auf eine Episode an, die uns erzählt, wie der Hofbarbier des Herrschers,
der seinen gottverliehenen Kopfschmuck vor unberufenen Augen sorgsam durch die
phrygische Mütze barg, sein Geheimnis in unbezwinglicher Plaudersucht einem Erd-
loch anvertraute. Uber der zugescharrten Stelle wuchs ein dichter Wald, der beim
geringsten Windstoße rauschend das Geheimnis von Rohr zu Rohr, von Strauch zu
Strauch trug: König Midas hat Eselsohren. Die zweite Version berichtet, wie Silenos,
der Freund des Dionysos, sich in den Rosengärten des Midas verirrt und von dem
Fürsten köstlich bewirtet wird. Der Gott gestattet ihm dankbar einen Wunsch.
Midas erbittet sich die Gabe, daß alle von ihm berührten Dinge sich in Gold wandeln
mögen. Erwartungsvoll bricht der Törichte einen Ast vom Baume, und siehe, er strahlt
in gleißendem Golde.

Der Reiter auf dem prächtig aufgezäumten Pferde mit der Statue im Arm und der
Krone auf dem Haupte ist Tantalus, der Sohn des Zeus und der Pluto (Reichtum),
der Beherrscher von Sipylos in Lydien. Er war der Liebling und Genosse der Götter,
die ihn mit allen Gütern der Erde überschütteten. Sein Reichtum war sprichwört-
lich gleich dem des Midas und Krösus. Der Übermut bringt Tantalus zu Fall. Wie
der Geizige, den unersättlicher Goldhunger verzehrt, so trägt er ein ewig quälendes
Verlangen nach dem frischen Wasser, den lockenden Früchten, ohne sie je erreichen
zu können. Weniger klar ist die Moral, die der Autor durch die Statue, die Tantalus
im Arme hält, bezweckt. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Anspielung auf
Niobe, die Tochter des Frevlers.

Die Gestalten der beiden Geistlichen, die unmittelbar hinter dem Triumphwagen
einherschreiten, vermitteln einen belehrenden, nicht ohne weiteres klar zu deutenden
Gedankengang, der sich vielleicht in dem Leitsatze zusammenfassen läßt: uSeid geizig mit
den himmlischen Gütern, sammelt Schätze der Liebe und der guten Werke, damit
ihr vor der Hölle und ihren Qualen bewahrt bleibt." Ein in der Tracht seiner Zeit
gekleideter Mann weist mit der Linken auf Avaritia, mit der Rechten deutet er
warnend nach dem Höllenschlunde, dem der Geiz entstieg. Die Gestalt mit dem
doppelsichtigen Januskopfe — das Symbol des wandelbaren Glücks — unterstützt die
Idee. Im Hintergrunde, der mit antiken Bauten, Städten und befestigten Burganlagen
übersät ist, spielen sich verschiedene kleine Szenen ab; sie scheinen gleichfalls Bezug
auf das Thema zu nehmen. Eine nähere Deutung läßt die mir zur Verfügung stehende
photographische Wiedergabe des Teppichs nicht zu.

Allen Triumphen dieser Art gemeinsam ist der auf Wolken schwebende Engel des
Herrn, der warnend die Hand dem verhängnisvollen Zuge entgegenreckt.

In ähnlicher Weise zeigen die übrigen Darstellungen der Folge ein seltsames Ge-
misch antiker Elemente und allegorischer Figuren, die sich mit wenigen Ausnahmen
durch die zeitgenössische und frühere Literatur erklären lassen. Die Abhängigkeit von
den voraufgegangenen Triumphen in der Art der Wiener Folge ist unverkennbar.
Das in verstärktem Maße in Erscheinung tretende antike Element löst den geschlossenen
Zug in elegante Beweglichkeit.

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