A r r a s
das bezeichnet, was sie sind. So erhält z. ß. 1398 Jehan Genest im Auftrage Ludwigs
von Orleans einen größeren Betrag „Pour douze tappis velus du pais de Turquie".
Näher liegt die Wahrscheinlichkeit, daß byzantinische oder maurische, d. h. spanische
Erzeugnisse befrachtend auf die Manufakturen Nordfrankreichs einwirkten. Die kost-
baren byzantinischen Wirkereien waren dem Abendlande nicht fremd. Die Herrscher
Ostroms benutzten häufig diese prächtigen Erzeugnisse als Geschenke an befreundete
Herrscher, zu diplomatischen Zwecken und dergleichen mehr. Der im Bamberger
Domschatze erhaltene Türbehang mit der Darstellung eines griechischen Imperators,
begleitet von zwei allegorischen Frauengestalten, ist ein beredtes Zeugnis. Die byzan-
tinischen Wandteppische sind Seiden Wirkereien mit sehr feiner Kette, die in der
Technik gewisse Ähnlichkeit mit den koptischen Arbeiten aufweisen. In Flandern
waren derartige hochwertige Arbeiten nicht unbekannt. Es ist anzunehmen, daß
Balduin IX., trotz seiner kurzen Kegierungszeit — er wurde am 9. Mai 1204 Kaiser und
starb bereits im darauffolgenden Jahre als Gefangener der Bulgaren —, golddurch-
wirkte Seidenbehänge, die den Stolz des byzantinischen Hofes bildeten, nach Flandern
sandte. Auch einfachere Arbeiten werden von Byzanz aus eingeführt, wie die in dem
Inventar des Herzogs von Berry 1416 erwähnte Folge: «Item, un ciel ou dossiel de
drap de laynne, que l'Empereur de Constantinoble (Kaiser Manuel Paleolog) donna ä
Monseigneur, fait ä ouvrage de Grece, ouquel sont plusieurs bestes, oyseaulx et fleu-
rettes, borde alentour de drap blanc, et vermeil, oü il y a aigles ä deux testes cou-
ronnöes, double de taffetas vermeil et jaune; et les goutieres sont de tafetas vermeil,
vert et jaune." Noch näher liegt die Annahme, daß das Haus Hennegau oder Dam-
pierre im Besitze spanisch-maurischer Seidenwirkereien war. Es sind verhältnismäßig
zahlreiche Stücke erhalten geblieben. Eines der charakteristischsten dürfte die nach
New-York abgewanderte Borte mit den sich wiederholenden hockenden Frauengestalten
sein. Es handelt sich hier im wesentlichen um Kleideransätze, die gleichzeitige Seiden-
webereien nachahmen. Immerhin erscheint es zweifelhaft, ob die byzantinischen und
die spanisch-maurischen Arbeiten in der Art der Textur — von Zeichnung und Motiv
nicht zu reden — so wesentliche Anregungen gaben, um eine grundlegende Änderung
in der Wirkereiindustrie herbeizuführen. Sollten die Erzeugnisse dieser Kunst in ge-
nügend großer Zahl nach Nordfrankreich, Flandern und Brabant gelangt sein und be-
lebend auf die von altersher dort geübte Basselisse- und Hautelissetechnik gewirkt
haben, dann wäre unter „sarazenischer" Arbeit eine Wirkerei mit sehr feiner Kette
und reichem Seideneinschlage zu verstehen. Die Annahme würde den verhältnismäßig
hohen Preis derartiger Teppiche erklären, sie gäbe auch die Motivierung, weshalb
vereinzelte Behänge in der Ablieferungsquittung als „tapis sarrazinois" und in den
Inventaren als „tapis de haute lice" erscheinen, wie z. B. die von dem Arraser
Jehan de Croisetes (Croisettes) gelieferte Geschichte Karls des Großen. Im übrigen
wird für diese feinkettigen Wirkereien die Basselissetechnik verwandt. Verschiedene
Angaben in dem bekannten „Livre des mötiers d'Etienne Boileau", das um 1258 in Paris
entstand, weisen mit starker Wahrscheinlichkeit auf diese Annahme. Am charakteri-
stischsten ist eine Stelle, die gewissermaßen eine erste Arbeiterschutzvorschrift dar-
stellt. Es heißt in der, die „mestres de tapiz sarrasinois" betreffenden Verordnung
von 1290: „De rechief que nule femme ne doit ouvrer ou mestier, pour les pe>iz, qu7
il i ont; car quant une femme est grosse et le mestier despiöcö, eile se poroit bl6chier
en teile maniere que son enfant seroit peris, et pour mout d'autrez periz qui y sont
et pueent avenir; pourquoi il ont regarde pieca qu'il ne doivent pas ouvrer." Die
Stelle sagt unzweideutig, daß es sich um einen Tiefstuhl handelt. Der Wirker oder
die Wirkerin ist gezwungen, um die Schußfäden in die wagerecht liegenden Ketten
einzufluchten, den Leib gegen den Warenbaum zu drängen. Bei Beginn der neuen
Wirkerei, „le metier despiece", kann der scharfe Druck, selbst wenn er durch Kissen
abgeschwächt wird, leicht zu lebensgefährlichen Verletzungen für Mutter und Kind
führen. Die Tournaiser Vorschriften des beginnenden 15. Jahrhunderts (1410) setzen
die „tapisserie sarasinoise" gleichbedeutend mit der Pedalentechnik des Tiefstuhles
222
das bezeichnet, was sie sind. So erhält z. ß. 1398 Jehan Genest im Auftrage Ludwigs
von Orleans einen größeren Betrag „Pour douze tappis velus du pais de Turquie".
Näher liegt die Wahrscheinlichkeit, daß byzantinische oder maurische, d. h. spanische
Erzeugnisse befrachtend auf die Manufakturen Nordfrankreichs einwirkten. Die kost-
baren byzantinischen Wirkereien waren dem Abendlande nicht fremd. Die Herrscher
Ostroms benutzten häufig diese prächtigen Erzeugnisse als Geschenke an befreundete
Herrscher, zu diplomatischen Zwecken und dergleichen mehr. Der im Bamberger
Domschatze erhaltene Türbehang mit der Darstellung eines griechischen Imperators,
begleitet von zwei allegorischen Frauengestalten, ist ein beredtes Zeugnis. Die byzan-
tinischen Wandteppische sind Seiden Wirkereien mit sehr feiner Kette, die in der
Technik gewisse Ähnlichkeit mit den koptischen Arbeiten aufweisen. In Flandern
waren derartige hochwertige Arbeiten nicht unbekannt. Es ist anzunehmen, daß
Balduin IX., trotz seiner kurzen Kegierungszeit — er wurde am 9. Mai 1204 Kaiser und
starb bereits im darauffolgenden Jahre als Gefangener der Bulgaren —, golddurch-
wirkte Seidenbehänge, die den Stolz des byzantinischen Hofes bildeten, nach Flandern
sandte. Auch einfachere Arbeiten werden von Byzanz aus eingeführt, wie die in dem
Inventar des Herzogs von Berry 1416 erwähnte Folge: «Item, un ciel ou dossiel de
drap de laynne, que l'Empereur de Constantinoble (Kaiser Manuel Paleolog) donna ä
Monseigneur, fait ä ouvrage de Grece, ouquel sont plusieurs bestes, oyseaulx et fleu-
rettes, borde alentour de drap blanc, et vermeil, oü il y a aigles ä deux testes cou-
ronnöes, double de taffetas vermeil et jaune; et les goutieres sont de tafetas vermeil,
vert et jaune." Noch näher liegt die Annahme, daß das Haus Hennegau oder Dam-
pierre im Besitze spanisch-maurischer Seidenwirkereien war. Es sind verhältnismäßig
zahlreiche Stücke erhalten geblieben. Eines der charakteristischsten dürfte die nach
New-York abgewanderte Borte mit den sich wiederholenden hockenden Frauengestalten
sein. Es handelt sich hier im wesentlichen um Kleideransätze, die gleichzeitige Seiden-
webereien nachahmen. Immerhin erscheint es zweifelhaft, ob die byzantinischen und
die spanisch-maurischen Arbeiten in der Art der Textur — von Zeichnung und Motiv
nicht zu reden — so wesentliche Anregungen gaben, um eine grundlegende Änderung
in der Wirkereiindustrie herbeizuführen. Sollten die Erzeugnisse dieser Kunst in ge-
nügend großer Zahl nach Nordfrankreich, Flandern und Brabant gelangt sein und be-
lebend auf die von altersher dort geübte Basselisse- und Hautelissetechnik gewirkt
haben, dann wäre unter „sarazenischer" Arbeit eine Wirkerei mit sehr feiner Kette
und reichem Seideneinschlage zu verstehen. Die Annahme würde den verhältnismäßig
hohen Preis derartiger Teppiche erklären, sie gäbe auch die Motivierung, weshalb
vereinzelte Behänge in der Ablieferungsquittung als „tapis sarrazinois" und in den
Inventaren als „tapis de haute lice" erscheinen, wie z. B. die von dem Arraser
Jehan de Croisetes (Croisettes) gelieferte Geschichte Karls des Großen. Im übrigen
wird für diese feinkettigen Wirkereien die Basselissetechnik verwandt. Verschiedene
Angaben in dem bekannten „Livre des mötiers d'Etienne Boileau", das um 1258 in Paris
entstand, weisen mit starker Wahrscheinlichkeit auf diese Annahme. Am charakteri-
stischsten ist eine Stelle, die gewissermaßen eine erste Arbeiterschutzvorschrift dar-
stellt. Es heißt in der, die „mestres de tapiz sarrasinois" betreffenden Verordnung
von 1290: „De rechief que nule femme ne doit ouvrer ou mestier, pour les pe>iz, qu7
il i ont; car quant une femme est grosse et le mestier despiöcö, eile se poroit bl6chier
en teile maniere que son enfant seroit peris, et pour mout d'autrez periz qui y sont
et pueent avenir; pourquoi il ont regarde pieca qu'il ne doivent pas ouvrer." Die
Stelle sagt unzweideutig, daß es sich um einen Tiefstuhl handelt. Der Wirker oder
die Wirkerin ist gezwungen, um die Schußfäden in die wagerecht liegenden Ketten
einzufluchten, den Leib gegen den Warenbaum zu drängen. Bei Beginn der neuen
Wirkerei, „le metier despiece", kann der scharfe Druck, selbst wenn er durch Kissen
abgeschwächt wird, leicht zu lebensgefährlichen Verletzungen für Mutter und Kind
führen. Die Tournaiser Vorschriften des beginnenden 15. Jahrhunderts (1410) setzen
die „tapisserie sarasinoise" gleichbedeutend mit der Pedalentechnik des Tiefstuhles
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