Brüssel
sein, oder, was wahrscheinlicher ist: über der Mitteldarstellung, die die Kreuztragung
mit der heiligen Veronika umfaßt, befinden sich noch verschiedene Passionsszenen in
den für den Tabernakeltyp charakteristischen, kleinen, von perlen- und steinbesetzten
Säulchen und Bogen umschlossenen Feldern. Der Teppich ist mit Goldfäden durch-
wirkt, er gehört also zur Qualitätsware ersten Ranges.
Es würde falsch sein, die Tabernakelteppiche nun kurzerhand den Brabanter Manu-
fakturen als eigentümlich zu überweisen, wenn auch mancherlei Gründe dafür sprechen.
Unzweifelhaft ist jedenfalls die Tatsache, daß Brüssel den Typ bereits in dem ersten
Drittel des 15. Jahrhunderts verarbeitete. Ob derselbe von Tournai oder Arras über-
nommen wurde, bleibt dahingestellt. Bislang sind keine Teppiche wen maniere de
moustier^ bekannt, die mit Sicherheit den voraufgegangenen Manufakturen zugeschrieben
werden können.
Einen wertvollen Überblick über die sozialen Verhältnisse der Brüsseler Wirker gibt
das Register der Statuten und Verordnungen der Wollweberzunft, das mit dem Jahre
1417 beginnt und bis zum 18. Jahrhundert durchgeführt ist (2).
Die Lostrennung der Wirker, „legwerkers^, von den Webern, „wevers", fällt in das
Jahr 1446.
Schon in der Zeit von 1417—1431 ist ein starker Zugang an Wirkereilehrlingen
gegenüber den Webern festzustellen. 1432—1446 wird das Verhältnis derart, daß auf
25 neuaufgenommene Weber-Leerknapen 148 Wirkerlehrlinge, auf 11 Webergesellen
100 Leghwerkerknapen kommen. Die Meisterzahl der Neuaufgenommenen verhält sich
wie 11:15. Der Grund liegt in dem Niedergange der alten Tuchindustrie, in der
scharfen Konkurrenz Englands, gegen die alle Einfuhrverbote der burgundischen
Herzöge machtlos bleiben. Der Aufstieg der Wirkereimanufakturen wird durch die
in Brüssel schon zu Beginn des 14. Jahrhunderts blühende Färbereiindustrie begünstigt,
die Schwierigkeiten bei der Herstellung reicher Folgen durch eine zweckmäßig ge-
wählte Palette rasch zu beseitigen vermag. Kämpft Oudenaarde von Anfang an mit
der mangelnden Auswahl geeignet eingefärbter Wollen- und Seidensorten, so besitzt
Brüssel von vornherein den Vorzug gut eingearbeiteter Färbereien. Die Beschaffung
englischer Wollen macht keine Schwierigkeit; die Märkte von Bergen-op-Zoom und
Antwerpen werden mit englischem Garn überschwemmt, das trotz aller einfuhrfeind-
licher Bestimmungen massenweise in den Brüsseler Manufakturen zur Verarbeitung
kommt. Die an und für sich teuere Rohware bedingt feinere Technik und höhere
Qualität der Wandbehänge; eine schnelle, fabrikmäßige Industrie wie in den Oudena-
arder Betrieben, die fast ausschließlich die zweitklassige deutsche Wolle verwenden,
ist unmöglich.
Um die Mitte des 15. Jahrhunderts ist die einst so machtvolle Wollweberzunft zur
Bedeutungslosigkeit herabgesunken, die Trennung der Leghwerker von der alten Gilde
wird wirtschaftliche Notwendigkeit,
Von den gleichen Gesichtspunkten aus ist das bereits 1387 erfolgte Ausscheiden der
Sticker und die Abspaltung der neu erstarkten Leinweberindustrie zu betrachten, die
1421 die Lostrennung anstrebt, ihr Ziel allerdings erst 1475 erreicht und die Erhebung
zu einer selbständigen Zunft erkämpft,
Es ist bei der großen Zahl der bereits im zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts in
Brüssel ansässigen Wirker verwunderlich, daß nicht öfters die Namen von Brüsseler
Händlern oder überhaupt Hinweise auf die Provenienz in zeitgenössischen Urkunden
auftauchen. Der Grund mag darin zu suchen sein, daß bis zum Ende des Säkulums
der Tapisseriehandel noch zum Teil in den Händen Brügger, Antwerpener und Tour-
naiser Kaufhäuser liegt. Eine Signatur der Bildteppiche nach dem Herkunftsorte
wird noch nicht verlangt. Es genügt, wenn die verwandten Rohmaterialien dem
gängigen Handel entsprechend bezeichnet sind, wenn der betreffende Händler wahr-
heitsgemäß seinen Kunden Aufschluß gibt, ob die feine Arraser Wolle und das gute
cyprische Gold verwirkt sind, oder ob minderwertige Sorten in Frage kommen.
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sein, oder, was wahrscheinlicher ist: über der Mitteldarstellung, die die Kreuztragung
mit der heiligen Veronika umfaßt, befinden sich noch verschiedene Passionsszenen in
den für den Tabernakeltyp charakteristischen, kleinen, von perlen- und steinbesetzten
Säulchen und Bogen umschlossenen Feldern. Der Teppich ist mit Goldfäden durch-
wirkt, er gehört also zur Qualitätsware ersten Ranges.
Es würde falsch sein, die Tabernakelteppiche nun kurzerhand den Brabanter Manu-
fakturen als eigentümlich zu überweisen, wenn auch mancherlei Gründe dafür sprechen.
Unzweifelhaft ist jedenfalls die Tatsache, daß Brüssel den Typ bereits in dem ersten
Drittel des 15. Jahrhunderts verarbeitete. Ob derselbe von Tournai oder Arras über-
nommen wurde, bleibt dahingestellt. Bislang sind keine Teppiche wen maniere de
moustier^ bekannt, die mit Sicherheit den voraufgegangenen Manufakturen zugeschrieben
werden können.
Einen wertvollen Überblick über die sozialen Verhältnisse der Brüsseler Wirker gibt
das Register der Statuten und Verordnungen der Wollweberzunft, das mit dem Jahre
1417 beginnt und bis zum 18. Jahrhundert durchgeführt ist (2).
Die Lostrennung der Wirker, „legwerkers^, von den Webern, „wevers", fällt in das
Jahr 1446.
Schon in der Zeit von 1417—1431 ist ein starker Zugang an Wirkereilehrlingen
gegenüber den Webern festzustellen. 1432—1446 wird das Verhältnis derart, daß auf
25 neuaufgenommene Weber-Leerknapen 148 Wirkerlehrlinge, auf 11 Webergesellen
100 Leghwerkerknapen kommen. Die Meisterzahl der Neuaufgenommenen verhält sich
wie 11:15. Der Grund liegt in dem Niedergange der alten Tuchindustrie, in der
scharfen Konkurrenz Englands, gegen die alle Einfuhrverbote der burgundischen
Herzöge machtlos bleiben. Der Aufstieg der Wirkereimanufakturen wird durch die
in Brüssel schon zu Beginn des 14. Jahrhunderts blühende Färbereiindustrie begünstigt,
die Schwierigkeiten bei der Herstellung reicher Folgen durch eine zweckmäßig ge-
wählte Palette rasch zu beseitigen vermag. Kämpft Oudenaarde von Anfang an mit
der mangelnden Auswahl geeignet eingefärbter Wollen- und Seidensorten, so besitzt
Brüssel von vornherein den Vorzug gut eingearbeiteter Färbereien. Die Beschaffung
englischer Wollen macht keine Schwierigkeit; die Märkte von Bergen-op-Zoom und
Antwerpen werden mit englischem Garn überschwemmt, das trotz aller einfuhrfeind-
licher Bestimmungen massenweise in den Brüsseler Manufakturen zur Verarbeitung
kommt. Die an und für sich teuere Rohware bedingt feinere Technik und höhere
Qualität der Wandbehänge; eine schnelle, fabrikmäßige Industrie wie in den Oudena-
arder Betrieben, die fast ausschließlich die zweitklassige deutsche Wolle verwenden,
ist unmöglich.
Um die Mitte des 15. Jahrhunderts ist die einst so machtvolle Wollweberzunft zur
Bedeutungslosigkeit herabgesunken, die Trennung der Leghwerker von der alten Gilde
wird wirtschaftliche Notwendigkeit,
Von den gleichen Gesichtspunkten aus ist das bereits 1387 erfolgte Ausscheiden der
Sticker und die Abspaltung der neu erstarkten Leinweberindustrie zu betrachten, die
1421 die Lostrennung anstrebt, ihr Ziel allerdings erst 1475 erreicht und die Erhebung
zu einer selbständigen Zunft erkämpft,
Es ist bei der großen Zahl der bereits im zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts in
Brüssel ansässigen Wirker verwunderlich, daß nicht öfters die Namen von Brüsseler
Händlern oder überhaupt Hinweise auf die Provenienz in zeitgenössischen Urkunden
auftauchen. Der Grund mag darin zu suchen sein, daß bis zum Ende des Säkulums
der Tapisseriehandel noch zum Teil in den Händen Brügger, Antwerpener und Tour-
naiser Kaufhäuser liegt. Eine Signatur der Bildteppiche nach dem Herkunftsorte
wird noch nicht verlangt. Es genügt, wenn die verwandten Rohmaterialien dem
gängigen Handel entsprechend bezeichnet sind, wenn der betreffende Händler wahr-
heitsgemäß seinen Kunden Aufschluß gibt, ob die feine Arraser Wolle und das gute
cyprische Gold verwirkt sind, oder ob minderwertige Sorten in Frage kommen.
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