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Lille

begründen und erhalten. Seit 1480 wird die feine Wollenweberei, die bislang in
Arras ihren Hauptstützpunkt fand, auch in Lille gepflegt. Die altflandrische Tuchtechnik,
die Herstellung schwerer und prächtiger Stoffe, ist infolge der Einführung der gleich-
wertigen, aber wohlfeileren englischen Ware zum Aussterben verurteilt. In den länd-
lichen Ortschaften, namentlich in den wallonischen Bezirken, bildet sich eine neue
Technik heraus, die sich bemüht, die ausländische Konkurrenz durch Verfertigung
billiger und leichter Stoffe unter Verwendung der vortrefflichen spanischen Wollen
zu schlagen. Jahrzehntelang wehren sich die alten Tuchmacherstädte verzweifelt gegen
diese Neuerung, die sie als ungehörige Anmaßung des Landes gegenüber der städtischen
Zunftordnung ansehen, die jedoch letzten Endes die Rettung der flämischen Industrie
darstellt. In erster Linie wird der bei Ypern, einer ausgesprochenen Tuchmacherstadt
alten Stiles, gelegene Ort Armentieres zum Brennpunkt der neuen Industrie. Hond-
schoote und die Dörfer der Bezirke Bailleul und St. Winnox schließen sich an. Die
einzigen Städte Südflanderns, die die Vorteile der wnieuwe draperie" rechtzeitig ein-
sehen, sind Lille und Tournai. Um 1516 arbeitet Lille nach dem Verfahren von Ar-
mentieres.

Die „neue Tuchmacherei" ist Großbetrieb, sie verlangt nicht mehr den durch Zunft-
vorschriften gefesselten Meister, Gesellen und Lehrling, sondern den geldkräftigen Arbeit-
geber und die namenlose Zahl der wirtschaftlich schwachen Arbeitnehmer. Während
sich in Oudenaarde die Wirkerei zu einem der Natur dieses Luxuserzeugnisses völlig
widersprechenden Massenbetrieb umschaltet, wächst sich Lille zu einem der Hauptorte
der neuen Stoff- und Tuchtechnik aus. Es ist eigenartig, daß trotz dieser auch für
die Kunst der Wirkerei ersprießlichen Entwicklung, kein rechter Aufschwung in die
Liller Wirkereibetriebe kommen will. Erst 1512 hören wir wieder von einem Wirker.

Der burgundische Staat ist durch Vermählung der Erbin Maria mit Maximilian an
das Haus Österreich übergegangen. Das von Jacquemard Largeche und Ghillebert
Deleplanque für den Schöffensaal gearbeitete Rückenlaken wird durch einen neuen
Behang ersetzt, der drei Wappen, die des französischen Königs, des Suzerains der
Stadt, Karls V., des nunmehrigen Grafen von Flandern, und des Grafen von Saint-Pol
trägt. Die Wirkerei wird, dem Reichtume der Stadt entsprechend, nicht wie bislang
in Wolle und Seide allein, sondern unter Verwendung von cyprischem Golde durch-
geführt. Als Lieferant erscheint der Liller Meister Johann Faussart. Wenig geklärt ist
die Rolle, die das Liller Wirkergeschlecht der du Platel (des Plateaux) im 15. und
16. Jahrhundert spielt. Ein Luc du Platel tritt in die Dienste Renös H. von Lothringen.
Die von ihm gefertigten Arbeiten finden höchstes Lob, Herzog Anton erhebt unter dem
23. Mai 1550 den Künstler in den Adelsstand (4).

Im März 1521 erfolgt auf Anstiften des französischen Herrschers, Franz L, die Fehde-
ansage Roberts von der Marek, des Herrn von Sedan, gegen die von Karl V. ein-
gesetzte Statthalterin Margarete von Österreich. Der Kaiser erklärt sich durch die
Erlasse vom 24. Juli 1521 und 2. Januar 1522 für die 1369 an Philipp den Kühnen ab-
getretenen Gebiete von Lille, Douai und Orchies frei von jeder Oberlehnshoheit gegen-
über Frankreich. Die Gerichtsbarkeit des Pariser Parlamentes über Flandern und Artois
erlischt; die burgundischen Lande bilden nunmehr einen einheitlichen, vom Auslande
unabhängigen Länderkomplex. Dem Liller Rat wird entsprechend nahe gelegt, das
französische Wappen zu entfernen. Gabriel Sauvaige ersetzt 1524 das mißliebig ge-
wordene Hoheitszeichen durch das kaiserliche Wappen. Die Liller „marcheteurs"
führen im übrigen ihren Kleinbetrieb unentwegt weiter, der sich mit der Herstellung
von Kissenblättern, Truhen- und Bankdecken, einfachen Zimmer- und Bettbehängen
begnügt. Ohne den statthalterlichen Runderlaß vom 4. März 1538 (1539) würden wir
schwerlich die Namen der Meister kennen gelernt haben. Die Verfügung Marias von
Ungarn, die sich gegen die mißbräuchliche Benutzung nachträglich aufgetragener nasser
Farben im Wirkteppich wendet, zielt weniger auf Lille, als auf die Großbetriebe
Oudenaardes und Brüssels. Der Liller Rat beruft die ansässigen Wirker zur münd-
lichen Eröffnung nach der Stadthalle. Es erscheinen am 15. März 1538 zur Verhandlung:

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