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Middelburg

Middelburg.

Am 18. August 1466 beginnt die Belagerung Dinants. Karl der Kühne ist entschlossen,
dem hohnvollen Trotze der Einwohner ein blutiges Ende zu bereiten. Nach sieben
Tagen ist der Widerstand der Zünfte und der „Genossen vom grünen Zelte" ge-
brochen (1). Die Stadt sinkt in Asche, die Bewohner flüchten, soweit sie dem Blutbade
entkommen, nach Norden. Peter Bladelin, der Schatzmeister von Burgund, nimmt
die Vertriebenen in seiner neugegründeten Stadt Middelburg auf. Der aus Brügge
gebürtige Schutzherr zählt zu den kunstsinnigen und weitblickenden Großen am Hofe
Philipps des Guten und seines Sohnes; er versteht die Tragweite der neuerwachten
sozialen Ideen vollauf zu würdigen. Ähnlich wie der Herr von Ravestein, Philipp von
Kleve, legt der burgundische Schatzmeister große Summen in landwirtschaftlichen
Anlagen fest. Er läßt riesige „polders" eindeichen, kurz, er beginnt mit einem neu-
zeitlicheren Entwässerungssysteme. Seine für die damalige Zeit großen geldlichen Mittel
ermöglichen Peter Bladelin auf seinen ausgedehnten Besitzungen in Ostflandern die
Gründung eines neuen Stadtwesens, aus dem das heutige Middelburg emporwuchs.
Die Bewohner Dinants, Gewerbetreibende aus den Städten Flanderns und Brabants,
strömen herbei, um noch rechtzeitig in den Genuß der versprochenen Freiheiten und
Privilegien zu gelangen. 1470 beehrt Herzog Karl das junge Gemeinwesen mit seinem
Besuche. Was ist selbstverständlicher, als daß der Stadtherr auch seinen Hofwirker
besitzt, der das Schloß mit Wandbehängen und Truhendecken schmückt.

Im September 1469 liefert der aus Tournai eingewanderte Brice le Bacquere Herzog
Karl eine nicht näher erläuterte Verdüre. Ein ähnlicher Ankauf erfolgt 1470 gelegentlich
seines Aufenthaltes in der Stadt. Diesmal ist Melchior le Wede (de le Wede), Haute-
lisseur seines Zeichens, der Lieferant. Es handelt sich um eine Yerdüre von 35 Quadrat-
ellen Inhalt. Seltsamerweise führt Soil (2) in seinen Tournaiser Listen Brice le Bacquere
als Hautelissier, d. h. als Weber, nicht als Tapissier. Tatsächlich scheint jedoch der
Meister in Middelburg den regelrechten Wirkerberuf ausgeübt zu haben. Über die
Herstellung von Yerdüren einfacher Art kommt die neue Industrie nicht hinaus. Am
4. April 1472 stirbt Bladelin, die Stadt geht durch Kauf an den burgundischen Kanzler
Wilhelm Hugonet über. Der neue Herr zeigt wenig Interesse für die edele Kunst der
Wirkerei, zudem lassen die verworrenen Verhältnisse nach Herzog Karls Tode den
Kanzler nicht zur Ruhe kommen. Der Niederbruch der burgundischen Hauspolitik
nach der Katastrophe von Nancy bringt Wilhelm Hugonet den Untergang. Der
Kanzler, der noch im April 1476 den Generalständen gegenüber drohende Worte
sprach, er wolle „faire parier ä leurs testes", gerät in die Gewalt der aufständischen
Genter und legt am 3. April 1477 das Haupt auf den Block.

Die Middelburger Manufaktur, die nie wesentliche Bedeutung erlangte, erlischt im
ersten Viertel des 16. Jahrhunderts. 1513 wird ein Jan le Bacre erwähnt, der einen
Wirkteppich an den bekannten Staatsmann und Geschichtsschreiber Philipp von Com-
mines liefert.

Die Durchsicht des Inventars des Middelburger Schlosses, das nach der Hinrichtung
des Kanzlers von seiner Gattin Luise de Laye, Herrin von Saillant, Espoisse und Middel-
burg, teilweise in Antwerpen öffentlich verkauft wird, vermag uns keinen höheren
Begriff von der Middelburger Manufaktur zu übermitteln. Wir finden 20 „pieces de
tapisserie verde garnye de toile" mit den zugehörigen Bettbehängen, Bettüberdecken
und Bankwirkereien. Es handelt sich augenscheinlich um einheimische Erzeugnisse,
um Grünteppiche einfacher Art, die symmetrisch auf blauen oder roten Grund Blumen-
zweige und Stauden streuen, eine Gattung, die in allen flämischen, brabantischen und
nordfranzösischen Manufakturen zu Ausgang des 15. Jahrhunderts gepflegt wird. Ähn-
lich mögen die drei «pieces de verdure servant aux bancs du comptoir de feu mondit-

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