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ferten Probestückes. Es handelt sich um eine Arbeit (Abb. 475) ((par grans feuillages ä
fort belle facon, armoyee des armes de la descente de Madame, estant au bas d'une
chascune des dictes pieces ung lyon et une aultruche (Strauß)."

Die einzelnen Stücke haben einen Inhalt von 30 bezw. 25 Quadratellen; der Ein-
heitspreis stellt sich ziemlich hoch, auf 40 sous de gros. Als Material ist Seide und
feine Wolle, „soye et sayette", vorgesehen; die Skizze, <,patron ä petit pied", und den
ausgearbeiteten Karton in natürlicher Größe, „patron", liefert die hohe Auftraggeberin.
Die Beschreibung ist auch insofern von besonderem Interesse, als sie sich mit zwei
Behängen der ehemaligen Sammlung Bacri — gegenwärtig im Kunstgewerbemuseum zu
Budapest (Archeologiai Ertesitö 1909, S. 1 ff.) — deckt. Das Mittelwappen und die Stamm-
baumhalter, Löwe und Strauß (autruche = autriche = Österreich), kehren in beiden
Teppichen gleichermaßen wieder. Die Seitenwappen wechseln. Mit starker Wahr-
scheinlichkeit handelt es sich um die Folge Meister Heinrichs van Lacke. Als Patro-
nenmaler kommt der Entwerfer der Tunisfolge, Jan Vermeyen, in Frage. Der Tep-
pich zeigt starke Verwandtschaft mit den gleichzeitigen Brüsseler Arbeiten.

Laureis Flascoen tritt 1533 wieder in Erscheinung, er liefert gemeinsam mit Claus
Rousseau eine Folge von 86 Quadratellen Inhalt, die der Magistrat als Dank für eine
den Stadtarmen von der neuen Herrin Enghiens, der Herzogin von Yendome, gestiftete
Spende, den Räten der hohen Dame überreichen läßt. Am 8. Mai 1534 zieht die
Herzogin in die Stadt ein. Bailli und Schöffen bieten ihr am 10. Juni des gleichen
Jahres als Zeichen ihrer Treue und Ergebenheit unter anderem die zu einer „chambre
de tapisserie" gehörigen gewirkten Wand- und Bettbehänge dar, die Meister Laureis
mit 312 livres tourn. vergütet werden. Es handelt sich augenscheinlich um Wappen-
tapisserien, wenigstens läßt der Preis bei dem verhältnismäßig großem Umfange der
Arbeit — 195 Quadratellen — hierauf schließen.

Die Sitte, dem Herrn der Stadt oder den von ihm bestellten Vertretern Wirk-
teppiche als Geschenk zu überreichen, wird im 16. Jahrhundert allgemein üblich. Der
kostbare Wandbehang ist ein diplomatisches Werkzeug ersten Ranges, er spielt die
gleiche Rolle wie im 18. Säkulum das köstliche Meißner oder orientalische Porzellan.
Der Rat von Enghien hat des öfteren sich das Wohlwollen der maßgebenden Persön-
lichkeiten durch schön gewirkte Teppiche zu erwerben gewußt. So erhält u. a. 1528
der Gouverneur der Stadt, Charles de Carondelet, seigneur de Potelles, ein stattliches
Wirkereizimmer von 200 Quadratellen Inhalt; der Einheitspreis beläuft sich auf 40 Sous.

Sowohl Bailli, wie Statthalter und Schöffen, suchen in jeder Weise die heimische
Luxusindustrie zu fördern. Das Einfärben der Wollen und Seiden, von jeher ein wun-
der Punkt der meisten Manufakturen, wird 1531 in Enghien in einwandfreier Weise ge-
regelt. Es entsteht eine gemeinsame Färberei, deren Benutzung wohl ähnlich wie in
Oudenaarde ihre Ordnung findet. Der Ruf der Enghiener Wirkereien hebt sich, eine
Blütezeit setzt ein; die verschiedensten Fürstlichkeiten betrauen die maßgebenden Manu-
fakturen mit Aufträgen. Ende Dezember 1539 läßt die Statthalterin Maria von Ungarn
durch den Großbailli des Hennegaus, den Herzog von Aerschot, verschiedene Wirkteppiche
aus Enghien, „esquelles, comme j'entens, Ton en pourra trouver grand nombre", nach
Valenciennes und Möns schaffen, um ihren erlauchten Bruder, Kaiser Karl V., der in
Reichsangelegenheiten nach dem Norden zieht, würdig zu empfangen.

Mit Maria von Ungarn, die mit 21 Jahren bereits Witwe wird und vier Jahre später
als Nachfolgerin Margaretens von Österreich in Flandern einzieht, beginnt die Zeit des
höfischen Prunkes. Maria schlägt ihren ständigen Wohnsitz im alten Herzogsschlosse zu
Brüssel auf; der kleine Palast zu Mecheln, in dem ihre feinfühlige Vorgängerin residierte,
gerät in Vergessenheit. Neue mächtige Schloßanlagen, wie die zu Marimont und Binche,
entstehen und werden in der prunkvollsten Weise ausgestattet. Die Wirkteppiche,
die die Riesenräume erst zu der schweren, feierlichen Würde zusammenfassen, fehlen
naturgemäß nicht. Verschiedene Manufakturen erscheinen in Tätigkeit. Enghien wird
durch Meister Nikolaus Rousseau vertreten, der nicht weniger als 895 Quadratellen
zum Einheitspreise von 20 Sous für Schloß Binche liefert. Die Bezahlung geht nach

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