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EINLEITUNG.

Die Hansa und die geistlichen Brüderschaften,

m die Lübecker Kunst vom 14. bis zum 16. Jahrhunderl kennen
zu lernen, darf man zwei Umstände nicht vergessen, die gerade in
dieser Zeit so sehr die Hauptadern des Lübecker Lebens bildeten,
dass man voraussetzen muss, dass auch die Erzeugnisse der Kunst
sich ihrem Einflüsse nicht entzogen haben können. Der eine Um-
stand ist mehr ä'usserlicher, der andere mehr innerlicher Natur, es
sind die Hansa und die geistlichen Brüderschaften.

Dass der Schwerpunkt der Bedeutung Lübecks in der besagten
Zeit in seinen Handelsbeziehungen lag, ist genügend bekannt. Einer-

völkerung. Der Blick wurde erweitert, Sitten und Gebräuche fremder
Länder bereicherten zugleich mit den Producten derselben ihre
Kenntnisse, und die Beschränkung eines abgeschlossenen Locallebens
wich bald den freieren Anschauungen, die ein erweiterter Gesichts-
kreis mit sich brachte. Die Vorstellung einer ausgedehnten Welt,
wie sie bei dem Küstenbewohner viel stärker ausgeprägt wird, als
bei dem Binnenländer, die beständigen Gefahren und Abenteuer,
welche sie selbst auf ihren Fahrten erlebten, oder welche ihnen
berichtet wurden, der Anblick der verschiedensten Nationen in- und

seits wurde das ganze baltische Meer von seinen Schiffen durch- ausserhalb Lübecks werden dazu beigetragen haben, verhältnissmässig

kreuzt; Russland, die dänischen Inseln, Norwegen und Schweden
sowie auch die Nordseeküsten Flanderns und Englands standen im
beständigen Wechselverkehr mit Lübeck, andrerseits ging eine un-
unterbrochene Handelsstrasse zu Lande über Lüneburg, Hannover
nach Westfalen, dem Rhein und den Niederlanden, und eine andere,
allerdings weniger besuchte, nach Ober-Deutschland, Nürnberg und
Augsburg, und von dort weiter nach Italien.

So bildete Lübeck den Vermittelungspunkt des deutschen
Südens und Westens mit dem Nordosten, eines alten Culturlandes
mit einem neuen, und darin lag die Quelle seines Aufschwungs;
den neuen Gebieten entführte es ihre Rohproducte, den alten ihren
Ueberschuss an Industrie und Kunst. Von den Ländern der Ostsee
empfing es Pelzwerk, Wachs, Bernstein, Holz und Fische, von den
Niederlanden Laken, gewebte und gepresste Stoffe, Seide, südliche
Gewürze und Kostbarkeiten und tauschte Beides gegen einander ein.

Wird man sich darüber wundern, wenn die Stadt auch in
Bezug auf die Kunst eine gleiche A^ermittlerrolle spielt, wenn sie
dem Westen und Süden gegenüber sich als Empfängerin, dem Osten
und Norden dagegen als Geberin verhält? Im Gegentheil, man
kann dies von vorneherein annehmen, und die Betrachtung der Kunst-
werke selbst wird es bestätigen, dass Lübeck in erster Linie zu den-
jenigen Plätzen gehört, welche eine Pflanzstätte der Kunst für den Nord-
osten Deutschlands und die umliegenden Länder gebildet haben, eine
Pflanzstätte, welche ihre Samenkörner dem alten Culturlande ver-
dankt, selbstständig aber daraus Früchte gezogen und dieselben in
reichem Maasse den neugewonnenen Gebieten gespendet hat.

Diese äusseren Umstände, die grossartigen Handelsverbindungen,
wirkten aber auch auf das innere Leben, auf das Gemüth der Be-

früh und allgemein eine gewisse Selbstständigkeit auch der mittel-
alterlichen Kirche gegenüber herzustellen. Auf der andern Seite
musste der häufig ihnen entgegentretende Gedanke, so leicht und
unvorbereitet vom Tode überrascht zu werden und der bei allen
Seefahrern und Küstenbewohnern stark entwickelte Aberglauben ihre
Angst um das Heil der Seele, die Furcht vor dem Fegefeuer, noch
verstärken. Welch grossen Raum die letztere in ihrem Denken ein-
nahm, liest man zur Genüge in Testamenten und Stiftungsurkunden.
Es darf uns daher nicht wundern, wenn diejenige Einrichtung, welche
sich gerade aus der Combination dieser Gefühle entwickelte und in
grösserem oder geringerem Maasse in der ganzen christlichen Welt
sich einbürgerte, hier in Lübeck, wie wohl überhaupt in den Küsten-
ländern, besonders reichen Anklang fand. Es sind dies die geist-
lichen Brüderschaften.

Dass dieselben aber bei einer Betrachtung der Kunst nicht
ganz ausser Acht gelassen werden können, erhellt schon aus der
Thatsache, dass wir ihren Aufträgen mindestens die Hälfte aller
Kunstwerke aus jener Zeit verdanken.

Seit dem zweiten Drittel des 14. Jahrhunderts sind dieselben
in Lübeck nachweisbar, ihre Zahl vermehrt sich beständig und im
Anfange des 16. Jahrhunderts finden wir ungefähr 70 urkundlich
erwähnt, was bei den spärlichen Nachrichten darauf schliessen lässt,
dass es noch eine namhafte Zahl mehr davon gegeben hat. ') Aus

l) Vergl. Jac. V. Melle: Beschreibung der Stadt Lübeck. Buch V. Ma-
nuscript in der Stadtbild, in Lübeck. Hierin ist am ausführlichsten das .Material
an Urkunden Uber die Lübecker Brüderschaften, soweit es am Anfange des 18. Jahrb.
vorhanden war, gesammelt. Vergl. auch C. Wehrntann: Die älteren Lüb. Zunft-
rollen. Lub. 1864. S. 149 ff.

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