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Lübecker Plastik im Anfange des 16. Jahrhunderts.

ährend im 15. Jahrhundert die Lübecker Kunst für sich betrachtet
J werden konnte, da sie, wenn auch aus fremden Einflüssen erwachsen,
doch selbstständig vorwärtsschritt, so ändert sich dies im 16. Jahr-
hundert sehr bald. Zwar blieben ganz dieselben Bestrebungen in
der Sculptur und Malerei, die im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts
sich geltend machten, auch jetzt noch bestehen, aber die eigenen
Mittel waren erschöpft, und so nahm man um so bereitwilliger das
Neue auf, was von aussen her geboten wurde. Neues aber kam
einerseits aus den Niederlanden, wo man anfing, die Formen der
italienischen Renaissance anzuwenden, andererseits aus Oberdeutsch-
land, wo die grossen Nürnberger und Augsburger Meister den er-
weiterten Forderungen der Kunst besser genügen konnten, als es
die Lübecker vermochten.

Die Handelsbeziehungen waren hierbei ebenfalls nicht ohne
Bedeutung. In den ersten Jahren des Jahrhunderts wurde der
Stapelplatz der Hansa von Brügge nach Antwerpen verlegt, die
Lübecker durften in Brügge weder Waaren kaufen noch verkaufen.
So stand ihnen Brabant jetzt näher als Flandern und damit auch
die neue Malergeneration. Dennoch hat man auch in dieser Zeit
keine Gründe, anzunehmen, dass die grössere Menge von Lübecker
Werken direct aus den Niederlanden bezogen wurden, sondern nur,
dass der Einfluss von dort her ein grösserer geworden ist. Urkund-
lich finden wir keine Bestellungen belgischer Werke erwähnt, und
betrachten wir die Sachen selbst, so sind es unter der grossen Zahl
immer nur einzelne wenige, die wir sicher auf niederländischen
Boden zurückfuhren können.

Was die oberdeutschen Städte anbetrifft, so hatten schon im
ganzen 15. Jahrhundert die Nürnberger Kaufleute in Lübeck eine
bevorzugte Stellung anderen gegenüber genossen '), indem sie un-
gestört ihre eigenen Localerzeugnisse, nämlich »allerhand Tand«
dort feilbieten durften, während mit anderen Waaren, vlämischen,
kölnischen, venetianischen etc. zu handeln ihnen verboten war.
Da werden unter jenem »Tand« bald genug die Holzschnitte und
Kupferstiche ihren Weg nach dem Norden gefunden haben und
damit die Kenntniss der bedeutenden Meister. Mit Augsburg schien
gerade jetzt der Verkehr Lübecks ein regerer zu werden, 1501 trat
an die Stelle des Bankcomptoirs der Medici, welche bis dahin die
Geldangelegenheiten nach Italien geleitet hatten, das Haus der

*) Vergl. C. Wehrmann: Die älteren Lüb. Zunftrollen. Lüb. 18r)4.
S. 107. — Lübecker Urk. B. VI. No. 784 (Ao. 1421.)

Fugger. l) Und wie wir in benachbarten Theilen Norddeutschlands,
zum Beispiel in Danzig finden, dass der neue Hochaltar der Marien-
kirche 1511—1517 von Meister Michael (Schivars?) aus Augsburg-)
gefertigt wird, und wie bei dem grossen Schleswiger Altare 1514—1521
Dürer'sche Holzschnitte zur Vorlage dienen, so ist auch in Lübeck
das Eindringen oberdeutscher Elemente unverkennbar.

Die verschiedenen Möglichkeiten nun, dass Lübecker Künstler
auswärts gelernt, oder auswärtige sich in Lübeck niedergelassen,
oder endlich einheimische nach eingeführten Werken copirt und
sich gebildet haben, ergeben so ähnliche Resultate, dass man sich
schwer auf solche Unterscheidungen einlassen kann. Dagegen giebt
es immerhin eine Reihe von Anhaltspunkten, auf Lübecker Boden
entstandene Schöpfungen von solchen, die ganz dem Auslande an-
gehören, zu unterscheiden.

Im Gegensatze zu den vorigen Abschnitten ist es hier günstiger,
die Plastik zuerst zu betrachten, da sie in diesem Falle die grössere
Sicherheit gewährt.

Als Lübecker Arbeit ist erstens eine Gruppe von Schnitzaltären
zu betrachten, welche um das Jahr 1520 entstanden sind. Drei
davon, der Schneider-Altar mit Darstellungen der Maria Aegyptiaca
und der Maria Magdalena (Taf. 30) von 15193), der Brauer-Altar
St. Thomae4) und der Altar mit der Wurzel Jesse5) ungefähr aus
derselben Zeit, alle drei aus der Burgkirche stammend, haben so
viel Gemeinsames, dass man fast geneigt ist, sie aus derselben Werk-
statt herzuleiten, ein vierter Schrein mit der Marter St. Laurenti i,(')
datirt vom Jahre 1522 und ehemals den Brauerknechten in der
Burgkirche zugehörig, ist zwar in einigen Einzelheiten abweichend
von jenen, theilt jedoch den Hauptcharakter derselben vollständig.
In allen finden wir äusserlich ein Festhalten an derselben einfachen
Kastenform mit derselben Eintheilung wie im vorigen Jahrhundert,
und daneben ein Fortschreiten auf derselben Bahn, welche die
Schnitzereien der letzten Periode eingeschlagen hatten. Das Streben
nach Bewegung und Reichhaltigkeit ist noch gestiegen , die Land-
schaft oder der Schauplatz der Handlung noch erweitert, die Ge-

1) Vergl. Pauli: Lübeckische Zustände im M.-A. II. S. 103.

2) Vergl. Hirsch: D. Ober-Pfarrk. v. St. Marien in Danzig. 1843. S. 208
und 442 ff.

°) Auf d. Catharinenchore No. 18 u. 19.

4) Auf d. Catharinenchore No. 10 u. 17. Lichtdruck Nöhring No. 331.
6) Auf d. Catharinenchore No. 8. Lichtdruck Nöhring No. 330.
°) Auf d. Catharinenchore No. 2. Lichtdruck Nöhring No. 329.

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