Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Lübecker Malerei in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts.

=—S>-o---

an ist gewohnt, in der norddeutschen Kunst aus der zweiten
| Hälfte des 15. Jahrhunderts das Meiste in dem Stilwechsel auf
niederländischen Einfluss zurückzuführen. AVenn man aber bedenkt,
dass die flandrische Malerei schon vor den van Ei/chs ') in Formen,
Farbe und Auffassung eine sehr grosse Verwandschaft hatte mit der
kölnischen, westfälischen und somit auch unserer Lübecker, dass
ferner die Strömungen im Volksleben, die äusseren Verhältnisse
sowie die geographischen Bedingungen ähnliche waren, dann haben
wir nicht nöthig, bei einer gleichmässigen Entwickelung Alles von
dem Einflüsse des einen Gebietes auf das andere abzuleiten. Aller-
dings lieferte Flandern sehr viel bessere Werke als Lübeck, es hatte
eine viel ältere Kunstübung hinter sich und einen viel regeren
künstlerischen Austausch mit Nachbarländern und das haben sicher
auch die Lübecker eingesehen und haben, wenn sie ein ganz be-
sonders werthvolles Gemälde stiften wollten, es wohl in Flandern
bestellt. Auch werden sich die Künstler in manchen Fällen der
vollendeteren Werke niederländischer Meister, welche ähnliche Ten-
denzen wie sie selbst verfolgten, als Muster bedient und dabei ein-
zelne Züge von ihnen entlehnt haben. Während mir in früherer
Zeit nur die Einführung von Metalhverken und besonders von
kunstreichen Laken und gestickten Teppichen bekannt ist, wird
neben diesen letzteren seit 1480 auch flandrischer Gemälde Erwäh-
nung gethan, wenigstens solcher, die über Lübeck nach Danzig
und Reval wanderten "'), und in Lübeck selbst finden wir Werke
wie der grosse, von der Familie Greverade gestiftete Memlingsche
Altar von 1491. Trotzdem aber erblicken wir bei Betrachtung der
Kunstwerke im grossen Ganzen erst um die Wende des Jahrhunderts
einen unmittelbaren Anschluss an niederländische Werke, der sich
dann im Anfange des IG. Jahrhunderts bei dem Aufkommen der
italienischen Renaissanceformen noch bedeutend verstärkt.

Wenden wir andererseits die Blicke nach Westfalen, so können
wir auch jetzt wie in der früheren Zeit eine Art Parallele beobachten.
Die Lübecker Bilder in den 70er bis 90er Jahren lassen sich ver-
gleichen mit den Nachfolgern des Liesborner Meisters ■'). Das lang-

') Vergl. das Altarbild mit dem Ii;;. Michael in der Capelle der St. Lucas-
gilde in der Kathedrale zu Antwerpen, die Kreuzigung mit Barbara und Catharina
in der Kathedrale zu Brügge, ferner die zahlreichen Miniaturen aus dem Ende
des 14. und Anfang des 15. Jahrhunderts.

2) Vergl. Th. Hirsch: Ober-Pfarrkirche v. St. Marien in Danzig. 1843.
S. 204. — F. Amelung: Revaler Alterthümer. 1884. S. 44/45.

Vergl. eine Reihe von Bildern im Museum des Kunstvereins in Münster
und in der Sammlung Löb bei Hamm.

same Verschwinden des Anmuthigen und Conventionellen vor dem
eindringenden Naturalismus bringt bei gleicher Grundlage ähnliche
Typen hervor. Der beständige Zug aus Westfalen nach dem Nord-
osten besteht auch noch in dieser Zeit fort, wenn auch vielleicht
nicht mehr so stark; noch um die Mitte des Jahrhunderts lässt sich
Heinrich Husmann '), welcher aus Westfalen stammte, in Lübeck
als Maler nieder. Aber diese Stadt war jedenfalls im Laufe der
Zeit noch selbstständiger geworden in ihrer Kunstübung, und in
den 90er Jahren findet sich sogar der Fall, dass Altarschreine aus
Lübeck nach Westfalen hin bestellt wurden. 2)

Und warum sollte Lübeck nicht allmählich auch selbstständig
geworden sein? Iis war im beständigen Aufschwung begriffen; die
Stadt hatte gerade jetzt eine hohe Blüthe erreicht, ihr Handel einen
gleichmässigen Reichthum über die verschiedenen Klassen vertheilt,
die städtischen Einrichtungen standen auf dem Höhepunkt derzeitiger
Cultur, man konnte sich mit einem bequemen Luxus umgeben 3),
und Reisende vermochten nicht genug des Lobes zu spenden.
«Alter quoqne paradisus non immerito poterit appellari«, schreibt
ein Arzt, welcher es auf seiner Reise 1453— G6 besuchte. ')

Bei solch glänzender Lage der Stadt hatten sich auch die
Maler, die jedenfalls an Zahl und Bedeutung gewonnen hatten, mit
den Glasern zusammen zu einer St. Lucas-Brüderschaft vereinigt.
Es geschah dies im Jahre 1473 5), sie hatten ihren Altar in der
Catharinenkirohe und stifteten dort im Jahre 1484 einen noch an
selbiger Stelle befindlichen Altarschrein (Taf. 14 u. 23) bei dem
sie jedenfalls ihr bestes Können verwandt haben, und bei dessen
Erwähnung noch der Chronist des 17. Jahrhunderts sagt: »Alhie
muthmasset man eine Gold-Tinctur verborgen gewesen zu sein.« *')

Derselbe enthält in der Mitte die Scene, wie St. Lucas die
Madonna malt, in den Flügeln St. Barbara und St. Catharina in
Holzschnitzerei, während die übrigen Seiten der Doppelflügel bemalt
sind, so dass man beim Schliessen der [nnenflügel 8 Sccnen aus

') Vergl. K.-Verz.

*) Vergl. K.-Verz. unter Husmann.

') Vergl. TF. Brehmer: Das häusliche Leben in Lübeck zu Ende-des
15. Jahrhunderts i. d. Hansischen Geschichtsblättern. XV.

4) Vergl. Wehrmann: »Ein Urtheil über Lübeck etc. . . . « i. Zeitschr.
f. Lüb. Gesch; IV. S. 271.

6) Wehrmann: Zunftrollen Lüb. 1804. S. 154.

") Vergl. Prüfers Archiv, III. Jahrg., 4. Heft, S. 54, wo Umrisszeich-
nungen der 8 Bilder auf den Fitigeln, mit Text von Milde.

') Vergl. Kunrat v. Hörelen: Lübeck's Herrlichkeit. 1866. S. 71.
 
Annotationen