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dem Leben St. Lucae (Taf. 14), bei völligem Schliessen wieder die
beiden erstgenannten Heiligen erblickt.

Man kann am besten diesen Altar als Ausgangspunkt zur
Betrachtung der Malerei nehmen, erstens, weil er das früheste in
Lübeck befindliche Werk dieser Periode ist1), welches eine Datirung
trägt, zweitens, weil er sicher einheimisch sein wird, da es nicht
denkbar, dass die Brüderschaft der Maler sich ihren Altar auswärts
hat fertigen lassen. 2)

Was unterscheidet nun diese Malereien von denen in der
ersten Zeit des 15. Jahrhunderts? Vor Allem ist an die Stelle des
Goldhintergrundes und der mangelhaften Wiedergabe der Umgebung
durch einzelne unzusammenhängende Bauten und Bäume eine völlige
Ausfüllung durch Gebäude oder Landschaft mit farbigem Himmel
getreten; ferner hat sich, wenn man so sagen darf, das Publikum
auf den Bildern vergrössert; denn, während der Maler früher sich
beschränkte, nur die Personen darzustellen, die zur Handlung unum-
gänglich nöthig waren, treffen wir jetzt eine Reihe von Gestalten,
die dazu dienen, den Raum zu füllen und den Vorgang gewichtiger
zu machen. Der Fall der Gewänder hat von seiner Weichheit viel
verloren und bringt statt dessen mehr kleinere schärfere dreieckige
Faltenbildungen, und endlich auch die Farbenscala ist eine andere
geworden, an Stelle der wohl mehr der Phantasie entlehnten hell-
grünen und rosa Stoffe sind realere, wenn auch noch helle, blaue
und rothe Gewänder getreten. In der Fleischfarbe unterscheiden
sich männliche und weibliche Gestalten von einander nicht mehr so
stark wie früher, jene haben, von ihrer Bronzefarbe, diese von ihrem
weissen Teint eingebüsst, und beide erscheinen mehr rosafarben.
Das Licht endlich ist nicht mehr so metallisch, sondern offener und
breiter.

Es ist deutlich, dass diese Wandlungen grösstenteils auf ein
näheres Studium der Natur zurückzuführen sind. Zwar beginnt die
Naturbeobachtung nicht erst jetzt, denn wir haben sie schon im
14. Jahrhundert in Einzelheiten des Grabower Altars, im Anfang
des 15. Jahrhunderts in der Darstellung nebensächlicher Momente
und an den Statuen aus der Mitte des Jahrhunderts in der Behand-
lung der Köpfe wahrgenommen, jedoch sie schreitet jetzt bedeutend
vorwärts.

Dieser Fortschritt aber ist wohl nicht darin zu suchen, dass
plötzlich das Naturgefühl so sehr im Wachsen begriffen war, sondern
der Antrieb dazu lag mehr begründet in dem fortgesetzten Bestreben,
in den Kunstschöpfungen immer mehr zu bieten, die Handlung
immer reicher auszustatten, auf den Beschauer immer eindringlicher
zu wirken, als die Vorgänger. Es ist dies ein Punkt, auf den
schon in der Einleitung hingewiesen ist bei Gelegenheit der Brüder-
schaften. Bei der ausserordentlichen Fülle von derartigen Werken,
die beständig für die Kirchen geliefert wurden, war ein starker
Wetteifer unausbleiblich und da, wie schon erörtert wurde, der zu
behandelnde Gegenstand sowie die Form im grossen Ganzen nicht
viel Aenderungen zuliess, so concentrirten sich diese noch mehr

1) Zwar ist der Todtentanz in der Marienkirche nach früherer Inschrift
schon 1463 gemalt, doch ist derselbe in seinem jetzigen Zustande, der uns nur
eine Copie aus dem Jahre 1701 bietet, zu einer stilistischen Beurtheilung nicht
brauchbar.

-) Auf dem Bilde der Beisetzung des hg. Lucas ist auf dem Grabsteine
in der Ecke unten rechts zu lesen: »AntlO dni. MCCCCL XXXIUI Auf
demselben Bilde steht anf dem Kleidersaume am Halse des vordersten Mannes:
HERMEN RODE' , worunter wir vielleicht den Namen des Malers zu er-
blicken haben, besonders, da eine derartige Anbringung durchaus nicht einzig in
ihrer Art dasteht. (Vergl. Mmee Gluny. Cat. par Sommerard IS83, No. 709,
vlänäsch;r Schnitzaltar etc.)

auf die Ausstattung der Darstellung. Man musste nach der Natur
greifen, um weitergehen zu können, und auf diesem Wege waren
dem Künstler keine Schranken gesetzt. Da man in der Mitte des
Jahrhunderts in der anmuthigen und characteristischen Einzelgestalt
einen gewissen Höhepunkt erreicht hatte, musste man um so eher,
um eine grössere 'Wirkung zu erzielen, auf äussere Umstände sehen.
Hiermit stimmt ja auch das Heranziehen der Landschaft wie einer
grösseren Zahl von Figuren und das prunkreichere Ausstatten der
Gewänder mit Mustern überein.

Bei Alledem bleibt die Verbindung mit den älteren Bildern
noch deutlich genug bestehen; es ist noch immer das Bestreben
nach Zierlichkeit und Anmuth stark entwickelt, bei Einzelgestalten
ist noch das Ausklingen der gebogenen Haltung und der gezierten
Handstellung bemerkbar, die Köpfe sind weichlich, mit sehr ge-
mässigtem Ausdruck, weshalb meist langweilig, und im Vergleich
mit flandrischen Bildern erscheinen auch die Bewegungen mehr be-
schränkt und der Faltenwurf trotz tler Bewegtheit bei Weitem nicht
so scharf. Auffallend sind im Besonderen die weichen blauen
Schatten auf weissen Tüchern, die hellen bläulichgrauen Bärte
der Greise und die reichliche Verwendung eines kräftigen Ziegel-
rothes.

Dass dieser St. Lucas-Altar aber nicht das früheste Beispiel
der jüngeren Lübecker Malweise ist, offenbart uns ein grosser Flügel-
altar im historischen Museum in Stockholm1) vom fahre 1468. Der-
selbe stammt aus der Hauptkirche Stockholms, der Nicolai- oder
grossen Kirche, für welche er in Lübeck gefertigt war. Die Inschrift
unter dem Mitteitheile besagt: »Dessc tafele warf rede ghe maltet
to lab do nie schreff na xpi ghe. bort mececlroüi visitasionis mark
to den tiden veren vor weserc der kerken tom Stockholm tideman
ncckooie{?) mester lawre.ni?) . Die jetzt etwas undeutlichen Namen
der Kirchenverweser sind nachlässiger und mit hellerer Farbe ge-
schrieben als der übrige Theil der Inschrift, was darauf schliessen
lässt, dass dieselben erst in Stockholm eingefügt sind. Der mit
Doppelflügeln versehene Schrein besitzt eine beträchtliche Grösse,
im geschlossenen Zustande eine Breite von ungefähr ?> m, eine Höhe
von 2 m, und ruht auf einer 68 cm hohen Fredelia ohne Flügel-
thüren, welche in der Mitte Christus mit zwei Engeln, zur Seite je
zwei Kirchenväter in Malerei enthält. Der Schrein selbst- zeigt im
Inneren Schnitzwerk, in der Mitte die Kreuzigung mit den beiden
Schachern und den zugehörigen Gruppen der Frauen und der Kriegs-
knechte, ausserdem zur Seite in zwei Reihen je zwei Heilige unter
Baldachinen und ebenso in der Innenseite des inneren Flügelpaares
je zehn Einzelheilige. Die übrigen flächen der Flügel sind bemalt
mit der Jugend- und Leidensgeschichte Christi, von welcher aller-
dings ein grosser Theil völlig zerstört ist.

Die Malweise ist schon ganz dieselbe wie auf dem Lucas-
Altare, nur in den Farben noch ein wenig unbestimmter und weicher,
der Himmel ist stets vergoldet, der Faltenwurf zeigt jedoch schon
völlig die eckigere Behandlung im Gegensatze zu der Richtung im
Anfange des Jahrhunderts.

Ganz eng an den Altarschrein der Maler von 1484 schliesst
sich nun eine Reihe von Bildern, deren letztes vom fahre 1501
datirt ist. Ob sie alle aus derselben Werkstatt hervorgegangen oder
ob sie nur aus Localvetwandschaft sich ähneln, ist schwer zu be-
stimmen und auch nicht von Belang. Es gehören hierzu ein Diptychon

l) No. 24 A. Der Altarschrein kam von der Stockholmer Nicolaikirche
in die Kirche zu Osteraker in Uppland und von dort in das Stockholmer Museum.

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