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EINLEITUNG

DIE Verarbeitung des Elfenbeins erstreckt sich im Mittelalter auf
ähnliche Luxusgegenstände wie in der Antike, auf kleine, durch
den Querschnitt des Elfenbeinzahnes gegebene, leicht ovale Büch-
sen, auf Hörner, die ebenfalls der Form des Zahnes entsprechen,
auf Kästen, die aus Platten rechtwinklig oder polygen zusammen-
gesetzt wurden, auf Kämme, Spangen und Siegelmatrizen. Vor
allem aber setzen sich die geschnitzten Schreibtafeln der ost- und
weströmischen Kaiserzeit im Mittelalter in der Form von Buch-
deckeln fort. Der großen Anzahl kleiner Applikationsstücke von
Möbeln und Geräten, die uns aus der Antike überliefert sind,
entspricht aus dem Mittelalter kein ähnlicher Bestand, was gewiß
nicht ausschließt, daß hier und dort solcher Schmuck verwandt
wurde, aber jedenfalls geschah dies in ungleich geringerem Maße,
denn kaum ein derartiges Stück ist aus den frühen Jahrhunderten
im Abendland erhalten. Dagegen linden sich eine Menge von
Schach- und Brettsteinen in Elfenbein oder ähnlichem Material.
Wie diese Spiele selbst leiten sie ihre Abkunft vom Orient her.
Ebendaher fanden auch wohl die elfenbeinernen Bischofsstäbe
ihren Eingang. Im letzten Grunde ist Gebrauch und Technik
überhaupt auf jene Gegenden zurückzuführen, io denen der Elefant
zu Hause war, also auf Ägypten und Asien, wenn auch das Abend-
land der Aufnahme schon durch die Verwendung des Knochens
vorgearbeitet hatte. Im antiken Bom und den Provinzen bildete
das Elfenbein einen kostbaren Einfuhrartikel. In den mittelalter-
lichen Staaten nach der Völkerwanderungszeit tritt an die Stelle
neuen Materials zunächst das schon bearbeitete der altchristlichen
Zeit. Man benutzt heidnische und christliche Pyxiden der ersten
Jahrhunderte, und man übernimmt die alten Schreibdiptychen,
um in ihnen kirchliche Verzeichnisse und Liturgien niederzu-
schreiben. Die Wachsfüllung löst man heraus und setzt die Schrift-
züge als etwas Dauerndes direkt auf die vertiefte Elfenbeinfläche
der Bückseite, wovon uns noch zahlreiche Spuren erhalten sind*.
Als man zu eigener Gestaltung Lust verspürte, sägte man die
größeren Belieferhöhungen ab und beschnitzte die Fläche von
neuem, wobei die Platte natürlich an Dicke einbüßte und häufig zu
einem ganz dünnen Grund zusammenschrumpfte, oder man ließ das
alte Belief vollständig oder abgeflacht stehen und bearbeitete die
ursprüngliche Wachsseite. Hatte man Platten von geringerer Di-
mension nötig, so zerschnitt man die großen. An manchen solcher
kleinen Stücke des IX. und X. Jahrhunderts ist auf der Bückseite
noch der Best des alten Wachsrandes sichtbar. Neue Schreib-
diptychen von dem Reichtum der alten wird man wenige mehr
angefertigt haben, ein kleines des X. Jahrhunderts, wohl zum Privat-
gebrauch, ist uns im Vatikan erhalten (siehe Nr. i y5—176). Da-
gegen verwandte man alte und neue Schnitzereien zu Buchein-
bänden, und das schmale Hochformat, das manche Handschriften
der frühen Zeit besitzen, ist gewiß auf Anpassung an die alte
Diptychongestalt zurückzuführen. Offenbar wurden auch Hand-

Solch beschriebene Rückseiten besitzen die Diptychen des Areobindus in
der Kathedrale von Lucca, des Philoxenus und des Justinianus in der National-
bibliothek in Paris, des Justinus und des Anastasius in Berlin, des Anastasius (?)
im Viktoria- und Albert-Museum in London, auch frühchristlich orientalische,
wie das sog. Maximiansdiptychon in Berlin u. a. Auf dem Diptychon des Cle-
mentinus in Liverpool sind die Worte (griechisch) im achten Jahrhundert ein-
graviert. Vom Erzbischof von Reims Adalbero (969) heißt es, daß er sich die
Namen seiner Vorgänger regelmäßig aus den Diptychen habe vorlesen lassen
(Pertz, Mon. Germ. SS. IX 558).

Schriften dieses Formates, die nur aus wenigen Blättern bestanden,
einfach in den vertieften Innenraum eines Diptychons hinein-
gelegt, wie dies bei dem gregorianischen Sakramentar im Schatz
zu Monza der Fall ist, oder die Diptychonform wurde nur schmal
eingefaßt und die Handschrift hineingebunden, wie, allerdings in
späterer Umwandlung, im Domschatz zu Aachen. Daneben lagen
auch große orientalische fünfteilige Diptychen vor, wie dasjenige
auf dem Cod.lat. c)384 in der Pariser Nationalbibliothek, die man
wie in den Lorscher Tafeln (Nr. 13 und 14) nachahmte, oder deren
Teile man ebenfalls zu neuen Arbeiten verwandte. Es ist für die Be-
nutzung der alten Stücke bezeichnend, daß in der frühesten der karo-
lingischen Schnitzschulen, der Adagruppe, das alte Diptychon-
format durchaus vorherrscht, während man später zu kürzeren und
breiteren Maßverhältnissen übergeht. Ganz hat es aber auch wohl
an unbearbeitet eingeführtem Material nicht gefehlt, so sieht man
z. B. auf der Bückseite der Madonna in der Sammlung Pierpont
Morgan (Nr. 12) noch den Hohlraum des Zahnes.
Benutzte man aus dem Orient oder aus Italien herbeigebrachte
Elfenbeinschnitzereien, wenn sie christlichen Inhalts waren oder
christlich umgedeutet werden konnten, unmittelbar zum Schmuck
von neuangefertigten Handschriften, so begann man doch gleich-
zeitig auch mit eigenen Werken. Schon unter den frühen Ge-
schenken Karls des Großen läßt sich die Verwendung von eigens
zu diesem Zweck geschnitzten Elfenbeintafeln nachweisen, wie bei
dem für den Papst Hadrian bestimmten Psalterium (Nr. 3 u. 4),
dann ergänzen einander seit dem Anfang des IX. Jahrhunderts lite-
rarisch überlieferte Notizen* und wirklich erhaltene Werke, und
es gilt nun, sich von den Werkstätten, in denen diese Aufträge
ausgeführt wurden, von den Vorbildern, der Formenentwicklung,
der Ikonographie eine klarere Vorstellung zu machen. Bei den
Bucheinbänden stand natürlich der Inhalt der bildlichen Darstellung
zu dem des umschlossenen Textes in Beziehung, und wenn auch
nur ganz vereinzelte Handschriften mit dem dazugehörigen Elfen-
beinschmuck vollständig erhalten sind, so lassen sich doch aus den
verschiedenen Darstellungskategorien diesbezügliche Schlüsse zie-
hen. Für die Evangeliare wählte man den triumphierenden Christus
oder die Majestas Domini, mit der Maria und dem Christuskinde
als Gegenstück, am häufigsten aber den Kruzifixus zusammen mit
der Auferstehung (Frauen am Grabe) und der Himmelfahrt als
Gegenstück, ferner die vier Evangelisten oder ihre Symbole und
zuweilen auch Folgen von einzelnen evangelischen Szenen. Solche
Folgen scheinen aber mit Vorliebe bei Evangelistaren in Anwen-
dung gekommen zu sein, mit besonderer Betonung der Wunder-
szenen. Auf die Psalterien setzte man das Bild König Davids und
seiner Psalmenschreiber, oder Szenen aus seinem Leben, oder Illu-
strationen einzelner besonders bedeutsamer Psalmen, auf di e Sakra-
mentare das Bild des heiligen Gregorius oder liturgische Szenen,
die Messe und andere Sakramente. Die Legende des heiligen Bemi-
gius (Nr. 57) mag eine Vita des Heiligen geschmückt haben. Wie
weit alle diese Darstellungen aus älteren Vorbildern geschöpft, wie
weit sie selbständig erfunden sind, werden erst weitere Unter-
suchungen klarlegen müssen.

* Vgl. J. v. Schloßer, Schriftquellen zur Geschichte der Karolingischen Kunst.
1896 216 und 217. — Dehaisnes, Documents et Extraits divers concernant l'His-
toire de TArt dans la Flandre, TArtois et le Hainaut avant le XVe siecle 1886
Bd. I S. 6, 8, 10/11. — Pertz, Mon. Germ. SS. II. S. 295.
 
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