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und Szepter für Mutter und Kind, die ausgewechselt wurden. Vielfach überließen die im Münster
zelebrierenden Geistlichen ihre Kelche der Pfarrkirche.

Noch zweimal überfielen die Franzosen die Stadt. Am schwersten wurde sie betroffen und
geschädigt durch die Beschießung im Jahre 1744, die dem Münster größeren Schaden zufügte
als der Dreißigjährige Krieg. Da zwischen den Verbündeten und den angreifenden Franzosen
das Abkommen getroffen war, das Münster nicht in den Schußbereich einzubeziehen, hatte sich
die gesamte Bevölkerung in die Kirche geflüchtet, wo sie sich häuslich niederließ107. Der damalige
Pfarrer Dr. Vicari, der sich auch in der Kirche aufhielt, die kaum mehr Platz zur Abhaltung des
Gottesdienstes bot, verließ eines Tages den Bau, um einmal in dem anstoßenden Bruderhäusle
ruhig zu schlafen. Kaum hatte er sich dort niedergelegt, als eine Kanonenkugel die Ecke des
unteren Ganges hinwegfegte und Dach und Stubendecke zusammenbrachen108. Der Pfarrer,
dem wir den originellen Augsburger Krippelekelch (Nr. 37) verdanken, kam mit dem Schrecken
davon. Jahre vorher war der Münsterpfarrer Julier, dessen reich getriebener, mit sechs Emails
geschmückter Kelch in der Schatzkammer steht, auf tragische Weise ums Leben gekommen. Bei
einer Prozession am 30. Mai 1707 im Münster stürzte ein Mörtelkübel durch eine Öffnung im
Gewölbe des Mittelschiffs und erschlug ihn109. Durch diese Öffnung wurde an Christi Himmel-
fahrt eine holzgeschnitzte Figur des Heilands hochgezogen, um das Aufsteigen des Herrn
zu veranschaulichen.

Der Wunsch des Prokurators Franz Conrad Weber, den Frauenaltar mit Silber zu verkleiden,
der unter seiner Verwaltung nicht verwirklicht wurde, erfüllte sich 1784. In jenem Jahr kam das
Vermögen der „Großen Lateinischen Kongregation“ zur Versteigerung, die im Jahr vorher auf
Anordnung Kaiser Josephs II. aufgehoben worden war. Darunter befand sich ein Silberaltar,
den die Freiburger Kongregation vorwiegend von Augsburger Goldschmieden vor der Mitte
des 18. Jahrhunderts hatte arbeiten lassen. Glücklicherweise gelang es, den Altar (Nr. 38) und
ein großes, sehr schönes, silbergetriebenes Prozessionskreuz für das Münster zu erwerben.
Noch im selben Jahr kauften die Münsterpfleger in Günzburg den Maria-Theresia-Kelch
(Nr. 42), den die Kaiserin der Wallfahrtskirche von Burgau gestiftet hatte, und tauschten gegen
altes Silber eine Votivampel (Nr. 46) ein, die ihre Tochter Marie Antoinette auf ihrer Reise
nach Paris vor dem wundertätigen Bild aufhängen ließ. Im 19. Jahrhundert ging die Mär, daß
Maria Theresia diese beiden Kunstwerke dem Münster geschenkt habe.

So wuchs im Laufe der Jahrhunderte ganz organisch der Schatz des Münsters an, sorgsamst
gepflegt und behütet von den durch die Stadt gestellten Pflegern und Schaffnern. Manches alte
Kunstwerk, aus Gründen der künstlerischen Einstellung von jüngeren Generationen nicht an-
erkannt, wurde zur Fertigung eines neuen Kultgegenstandes eingeschmolzen, anderes aus reinem
Unverstand vertan. Immer kam Neues hinzu, erwachsen und gestaltet aus dem Stil seiner Zeit.
Neben den im 18. Jahrhundert beliebteren barocken Kunstwerken hielten sich die aus dem
Mittelalter stammenden, die glücklicherweise auf uns gekommen sind. Dieses aus frommer

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