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Einzelfrage, meist aus der Fülle des täglichen Lebens
geschöpft, zu beleuchten. Hier deckt er die eigentüm-
liche Sophistik von Volksredensarten und Gemeinplätzen
auf, dort spürt er einer sozialen Entwicklung im Leben
der Hauptstadt nach; bald entwirft er eine rührende Skizze
aus dem Schäuspielerleben, um dann wieder ein geist-
reiches Apercu über Bücher und Bücherlesen zu bringen.
Es ist, als hätte er hier mit den Mitteln der Prosa, mit
fast Swiftischem Humor und nie fehlender Ironie einen
Teil des Feldes beackern wollen, das Wordsworths ideale
philosophische Poesie zu bestellen unternahm. Aber ver-
schieden wie die Mittel des Ausdrucks war auch der
Schauplatz, auf dem die beiden Schriftsteller sich be-
wegten. Lamb war durchaus ein echtes Londoner Kind;
das Leben, das ihn interessierte, besafs Impulse und Be-
dingungen, die "Wordsworth immer unsympathisch und
fremd blieben. „Ich habe mein ganzes Leben in London
zugebracht", schreibt Lamb an diesen, „bis ich dafür
eine ebenso reiche und tiefe Zuneigung gefafst habe, wie
ihr Bergbewohner für die tote Natur. Die erleuchteten
Läden in Strand und Fleetstreet, die Unmasse von Han-
delsleuten, Kunden, Kutschen, Rollwagen, Theatern, all
der Wirrwarr und Mutwille um Coventgarden, die Poli-
zisten x die Betrunkenen, das Gerassel — leben und wachen,
wenn man auch aufwacht, zu jeder Stunde der Nacht.
Die Unmöglichkeit, stumpf in Fleetstreet zu bleiben, das
Gewühl, ja selbst der Staub und Schmutz, die Sonne,
die auf Häuser und Pflaster scheint, die Buchläden und
Antiquare, die Kaffeehäuser, der Küchengeruch, die Panto-
mimen — London selbst eine Pantomime, eine Maskerade
— alle diese Dinge dringen mir ins Gemüt und nähren
mich, ohne mich zu sättigen. Ich vergiefse oft Thränen
 
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