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— 77 —

So hat uns "Wordsworth die Entstehung der „lyri-
schen Balladen" erzählt. Coleridge aber in seiner Bio-
graphia litteraria spricht von einem Prinzipienstreit, der
die Verschiedenheit der beiden Dichter klarlegte. Auf
ihren Spaziergängen war immer häufiger ein Punkt zur
Sprache gekommen: zwei Regionen gebe es, aus denen
die Dichtung sicli Stoff und Anregung hole, die sinnliche,
reale "Welt und die übersinnliche, phantastische. Des Dich-
ters Aufgabe nun sei es, die erste so zu erheben und zu
vergeistigen, dafs sie des Lesers höhere Sympathie errege,
die andere aber durch innere dramatische Wahrheit dem
Leser menschlich nahe zu führen. Natürlich nahm "Words-
w.orth die erste Region für sich in Anspruch, während
Coleridge sich die zweite Aufgabe zu lösen zutraute.
In dem geplanten Bündchen wollte jeder auf seinem Ge-
biete im "Wettstreit mit dem andern das Beste leisten.

Ein englischer Kritiker1 sieht mit Recht in der Aus-
führung dieses Planes die grofse Bedeutung, welche dies
Büchlein für die englische Litteratur besitzt. Gerade diese
beiden Richtungen, als deren Vertreter sich die Freunde
fühlten, waren in der englischen Dichtkunst jener Zeit
scharf ausgeprägt; nur fehlte eben die Meisterhand. um
die üppigen Schölslinge, die die Pflanze verunstalteten,
zu beschneiden. Eine Vorliebe für das Schauerlich-Ge-
spensterhafte beherrschte nicht nur die Bühne, sondern
machte sich mehr noch im Roman und der poetischen
Erzählung breit. Solche Scenen, die das Blut erstarren
und die Haut schaudern machten, wurden mit sichtlichem
Behagen ausgeführt: Matthew Gregory Lewes, der von
einer seiner schaurigsten Geschichten, „Der Mönch" be-

1) Dowdeu, „Coleridge as a poetL, Fortnighthy review 1889.
 
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