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Sprache wenig geeignet erscheint. Nicht einem strengen,
zwei- oder dreimal gegliederten Gebäude, sondern einem
sphärischen Körper will er das Sonett vergleichen, der un-
geteilt die Einheit in sich trägt. Er verwirft aus diesem
Grande auch eine epigrammatische oder sentenziöse Zu-
spitzung in den beiden letzten Zeilen und mit ihr den
paarweisen Reim zum Schlüsse, ein Gebrauch, den fast
alle Sonette Shakespeares zeigen. "Wordsworth bevor-
zugt das Sonett, „dies vierzehnzeilige Prokrustesbett der
Gefühle", wie es Jakob Burckhardt nennt, weil er selbst
darin eine weise Beschränkung seiner leicht ins Weite
schweifenden Dichtung sieht.1 Dafs es ihm trotzdem
nicht leicht wurde, seine Empfindungen in dies „selbst-
gewählte Gefängnis" zu schliefsen, zeigen die vielen
Doppelsonette, die durch eine Reihe von zwei oder noch
mehr Gedichten denselben Gedanken in verschiedener Be-
leuchtung bringen. Yiele seiner Zeitgenossen, darunter so
kompetente Beurteiler wie Crabb-Robinson und Samuel
Rogers, haben den Sonetten unter den Werken des Dich-
ters den Preis zuerteilt, während Wordsworth selbst,
namentlich im späteren Leben, wo er den Lehrberuf seiner
Dichtung so stark betonte, die Sonette, die diesen Cha-
rakter seltener tragen, nicht so hoch anerkennen wollte.

Die Duddon-Sonette gehören zugleich mit den kir-
chengeschichtlichen zu den letzten gröfseren "Werken des
Dichters, die eine innerliche Einheit zeigen. Die Muse
blieb ihm zwar bis ins hohe Alter treu, und immer noch
finden wir in kleineren Gedichten Klänge von grofser dich-
terischer Schönheit; doch die wenigsten zeigen noch etwas
von dem zielbowufsten, kraftvollen, wenn auch einseitigen

1) Siehe Nr. LXII.
 
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