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— 282 —

namentlich im späteren Leben diese Dichtungsart bevor-
zugt. Milton hatte ihn einst zu seinen ersten Freiheits-
sonetten angeregt; an seinem Muster hat er sich gebildet
und ihn sich und andern immer als Vorbild aufgestellt.
Das Sonett ist als Kunstform in England von alters her
weit populärer als bei uns in Deutschland, wo wir nie
verlernen, es als einen Fremdling aus dem Süden zu be-
trachten, dem wir uns anbequemen müssen, so gut es
gehen will. So hat sich denn in England das Sonett
auch gleich im Anfang von dem italienischen emanzipiert
und auf eigne Füfse gestellt. Gleich Spencer und Shake-
speare haben sich weder an die äufsere Keiniverschlingung,
noch an den innern strengen Aufbau des italienischen So-
netts gehalten. Milton hatte sich zwar wieder ganz in
Italien geschult und einen Teil seiner Sonette sogar in
der Sprache dieses Landes geschrieben; trotzdem behält
auch er die dort geforderte strenge Zweiteilung nicht bei
und läfst den Gedanken von der Oktave zu den Terzi-
nen übergreifen. Aufser Milton hatte Wordsworth einen,
wenn auch nicht so direkten, Einflufs von seinem älte-
ren Zeitgenossen Bowles erfahren, für dessen schwärme-
rische, gefühlsselige, im Naturgenufs schwelgende Sonette,
die aber ganz formlos und für uns nicht mehr schmack-
haft sind, er samt Coleridge sich einst begeistert hatte.
Man erzählt, wie er noch als Jüngling bei einem Spazier-
gang auf der Vfestminsterbrücke seine Sonette in die Hand
bekam, sich in eine der Pfeilerausbuchtungen setzte und
nicht eher wieder fortzubringen war, als bis er die Lek-
türe beendet hatte.

Wordsworth gestattet sich im Sonett die gröfstmög-
liche Freiheit. Im ganzen ist er der italienischen Form
abhold, die ihm für die vorwiegend einsilbige englische
 
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