MICHELANGELOS ERSTE JAHRE IN ROM
1496 —1501
[4, 1—7]
Das älteste Schriftstück von Michelangelos Hand, das wir besitzen, ist der Brief, in welchem Michelangelos
er Lorenzo dei Medici seine Ankunft in Rom anzeigt. BegmnmRom
Ew. Magnifizenz teile ich mit, daß wir am vorigen Sonnabend gesund angekommen sind und
sogleich zum Kardinal di San Giorgio gingen, dem ich Euren Brief überreichte. Er schien mir wohl-
geneigt zu sein und begehrte auf der Stelle, daß ich mir verschiedene Figuren ansähe, womit ich
den ganzen Tag zubrachte und deshalb Eure anderen Briefe noch nicht abgab. Sonntag kam der
Kardinal in den neuen Bau und ließ mich rufen. Als ich kam, fragte er mich, was ich von dem hielte,
was ich gesehen hätte. Ich sagte ihm meine Meinung darüber. Es sind in der Tat, scheint mir, hier
sehr schöne Sachen. Der Kardinal wollte nun wissen, ob ich mir etwas Schönes zu arbeiten getraute.
Ich antwortete, daß ich keine großen Versprechungen machen wolle, aber er würde ja selbst sehen,
was ich zu leisten imstande sei. Wir haben ein Stück Marmor für eine lebensgroße Figur gekauft,
und nächsten Montag fange ich an zu arbeiten. Vergangenen Montag gab ich Eure übrigen Briefe
Paolo Rucellai, der mir das Geld auszahlte, das ich nötig hatte, und das für Cavalcanti. Dann
brachte ich Baldassare den Brief und verlangte den Amor zurück, ich wollte ihm dafür sein Geld
wiedergeben. Er antwortete mir sehr heftig, lieber wolle er den Amor in tausend Stücke schlagen,
er habe ihn gekauft, er sei sein Eigentum, er könne schriftlich beweisen, daß er dem genug getan,
von dem er ihn empfangen hätte. Kein Mensch solle ihn zwingen, ihn wieder herauszugeben. Er
beklagte sich über Euch. Ihr hättet ihn verleumdet. Einer von unseren Florentinern hier hat sich
dazwischen gelegt, um uns zu vereinigen, hat aber nichts ausgerichtet. Ich denke jetzt durch den
Kardinal die Sache durchzusetzen; Baldassare Balducci hat mir diesen Rat gegeben. Ich schreibe
Euch, was weiter geschehen wird. Soviel für diesmal. Ich empfehle mich Euch. Gott behüte Euch.
Michelagnolo in Rom.
Wie lebhaft führen uns die wenigen Worte in den Verkehr der Leute hinein, die über den
Handel mit der Statue aneinander geraten. Ein geärgerter hoher Herr, ein wütender, betrüge-
rischer Kaufmann, dazwischentretende Freunde, und dennoch dies alles Nebensache gegen Rom
selber! Michelangelo durchstreift die Stadt, und über dem Anblick der Kunstwerke kommen
ihm neue Gedanken zu eigenen Arbeiten.
Er war einundzwanzig Jahre alt, als er nach Rom kam.
Die Idee, daß der junge Michelangelo, voll vom Geräusche des fanatisch bewegten Florenz,
in dieses Rom vom Schicksal geleitet wird und zum ersten Male den Boden betritt, wo das
verworfenste Treiben dennoch von der stillen Größe der Vergangenheit überboten wurde, hat
etwas Furchtbares, Gedankenerweckendes in sich. Es war der erste Schritt seines wirklichen
Lebens, den er tat. Vorher ließ er sich hin und her leiten von den Menschen und von den
eigenen unklaren Absichten; jetzt auf sich selber angewiesen, nimmt er einen neuen Anlauf
für seine Zukunft, und das, was er hervorbringt, eröffnet die Reihe seiner Meisterwerke.
Welcher Art die schönen Sachen gewesen sind, von denen er gegen den Kardinal äußerte, Das antike
daß sie in Rom vorhanden seien, läßt sich heute kaum bestimmen. Die Ausbeute des reichen Rom
Bodens hatte begonnen, und viel war gefunden worden, allein die Entdeckung der meisten
Antiken, welche heute als Prachtstücke der Sammlungen bekannt sind, fällt in spätere Zeiten;
andererseits ist von dem, was sich im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert in Rom an-
3 Grimm, Michelangelo
33
1496 —1501
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Das älteste Schriftstück von Michelangelos Hand, das wir besitzen, ist der Brief, in welchem Michelangelos
er Lorenzo dei Medici seine Ankunft in Rom anzeigt. BegmnmRom
Ew. Magnifizenz teile ich mit, daß wir am vorigen Sonnabend gesund angekommen sind und
sogleich zum Kardinal di San Giorgio gingen, dem ich Euren Brief überreichte. Er schien mir wohl-
geneigt zu sein und begehrte auf der Stelle, daß ich mir verschiedene Figuren ansähe, womit ich
den ganzen Tag zubrachte und deshalb Eure anderen Briefe noch nicht abgab. Sonntag kam der
Kardinal in den neuen Bau und ließ mich rufen. Als ich kam, fragte er mich, was ich von dem hielte,
was ich gesehen hätte. Ich sagte ihm meine Meinung darüber. Es sind in der Tat, scheint mir, hier
sehr schöne Sachen. Der Kardinal wollte nun wissen, ob ich mir etwas Schönes zu arbeiten getraute.
Ich antwortete, daß ich keine großen Versprechungen machen wolle, aber er würde ja selbst sehen,
was ich zu leisten imstande sei. Wir haben ein Stück Marmor für eine lebensgroße Figur gekauft,
und nächsten Montag fange ich an zu arbeiten. Vergangenen Montag gab ich Eure übrigen Briefe
Paolo Rucellai, der mir das Geld auszahlte, das ich nötig hatte, und das für Cavalcanti. Dann
brachte ich Baldassare den Brief und verlangte den Amor zurück, ich wollte ihm dafür sein Geld
wiedergeben. Er antwortete mir sehr heftig, lieber wolle er den Amor in tausend Stücke schlagen,
er habe ihn gekauft, er sei sein Eigentum, er könne schriftlich beweisen, daß er dem genug getan,
von dem er ihn empfangen hätte. Kein Mensch solle ihn zwingen, ihn wieder herauszugeben. Er
beklagte sich über Euch. Ihr hättet ihn verleumdet. Einer von unseren Florentinern hier hat sich
dazwischen gelegt, um uns zu vereinigen, hat aber nichts ausgerichtet. Ich denke jetzt durch den
Kardinal die Sache durchzusetzen; Baldassare Balducci hat mir diesen Rat gegeben. Ich schreibe
Euch, was weiter geschehen wird. Soviel für diesmal. Ich empfehle mich Euch. Gott behüte Euch.
Michelagnolo in Rom.
Wie lebhaft führen uns die wenigen Worte in den Verkehr der Leute hinein, die über den
Handel mit der Statue aneinander geraten. Ein geärgerter hoher Herr, ein wütender, betrüge-
rischer Kaufmann, dazwischentretende Freunde, und dennoch dies alles Nebensache gegen Rom
selber! Michelangelo durchstreift die Stadt, und über dem Anblick der Kunstwerke kommen
ihm neue Gedanken zu eigenen Arbeiten.
Er war einundzwanzig Jahre alt, als er nach Rom kam.
Die Idee, daß der junge Michelangelo, voll vom Geräusche des fanatisch bewegten Florenz,
in dieses Rom vom Schicksal geleitet wird und zum ersten Male den Boden betritt, wo das
verworfenste Treiben dennoch von der stillen Größe der Vergangenheit überboten wurde, hat
etwas Furchtbares, Gedankenerweckendes in sich. Es war der erste Schritt seines wirklichen
Lebens, den er tat. Vorher ließ er sich hin und her leiten von den Menschen und von den
eigenen unklaren Absichten; jetzt auf sich selber angewiesen, nimmt er einen neuen Anlauf
für seine Zukunft, und das, was er hervorbringt, eröffnet die Reihe seiner Meisterwerke.
Welcher Art die schönen Sachen gewesen sind, von denen er gegen den Kardinal äußerte, Das antike
daß sie in Rom vorhanden seien, läßt sich heute kaum bestimmen. Die Ausbeute des reichen Rom
Bodens hatte begonnen, und viel war gefunden worden, allein die Entdeckung der meisten
Antiken, welche heute als Prachtstücke der Sammlungen bekannt sind, fällt in spätere Zeiten;
andererseits ist von dem, was sich im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert in Rom an-
3 Grimm, Michelangelo
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