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Grimm, Herman
Michelangelo: sein Leben in Geschichte und Kultur seiner Zeit, der Blütezeit der Kunst in Florenz und Rom — Berlin: Safari-Verlag, 1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.71912#0038
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Michelangelos erste Jahre in Rom
gehäuft hatte, in der folgenden Zeit viel nach allen Seiten hin entführt worden. Der heutige
Zustand gibt keinen Maßstab für den damaligen, es war ein anderes Rom, in das Michelangelo
eintrat. Die vorhandenen Kunstwerke waren nicht wie jetzt in Museen kalt nebeneinander
gereiht, sondern verteilt durch die ganze Stadt, zum Schmuck der Gebäude und zur Freude
der Menschen, allüberall an günstigen Plätzen frei aufgestellt. Diese Gebäude waren in einem
Stil aufgeführt, von dem nur geringe Reste übriggeblieben sind. Als Michelangelo den Felsen
des Kapitols bestieg, ahnte er nicht, daß er ihn einst mit Palästen besetzen würde, die seine ganze
Form veränderten. Als er da droben, auf den nackten Trümmern des alten Jupitertempels
sitzend, die Augen umherschweifen ließ, ahnte er nicht, daß man von da einst die Peterskuppel,
die er erdachte, und die unzähligen kleineren Kuppeln, die alle nach ihrem Muster gebaut sind,
mit den Blicken überfliegen würde. Heute denkt man, Rom sei nicht möglich ohne diese
Aussicht. Nichts von alledem war vorhanden. Damals stand noch die alte Basilika von Sankt
Peter; der prachtvolle geräumige Platz des Bernini mit den sausenden Springbrunnen und den
gewaltigen Säulengängen, die ihn in ihre Arme nehmen, war mit einem wüsten Wirrwarr
kleiner Häuser bedeckt. Ein Platz lag in ihrer Mitte, auf dem Turniere und Ringelrennen
abgehalten wurden. Der langgestreckte vatikanische Palast war kaum viertel so groß wie heute
und festungsartig abgeschlossen. Von hier aus zog der Papst einen bedeckten gemauerten Gang
nach der Engelsburg, die durch Festungswerke mit der Brücke, die unter ihr über den Tiber
führt, eng verbunden, sichtbarer als heute das Bild eines Kastells darbot, dessen Inhaber dadurch,
daß er die beiden Hälften Roms, die päpstliche neue Stadt nördlich vom Flusse und das alte
große Rom südlich vom Tiber, je nach seinem Willen völlig voneinander trennen konnte,
Herr der Stadt war.
Das Kastell von Santangelo bildete die Zitadelle von Rom, aber doch nur eine einzige all
der geringeren Festungen, von denen es, wie Florenz in alten Tagen, immer noch erfüllt war.
In Florenz hatte ein freierer, lichterer Stil längst freie, schöne Paläste geschaffen, in Rom, wo
der öffentliche Zustand der Dinge der Stärke vor der Schönheit noch den Vorrang lassen mußte,
sah man erst wenige von den ausgedehnten mit Fensterreihen erfüllten Prachtfassaden. Die
von hohen Türmen überragten Paläste der Kardinäle und des hohen Adels, der Orsini, Co-
lonna und anderer zeigten sich als ringsum abgeschlossene, finstere Bauwerke, wohlgeeignet
verteidigt zu werden, und mit allen Mitteln versehen, plötzliche Überfälle abzuwehren. Der
römische und florentinische Palastbau ist ein Produkt der Zeiten und der Geschichte. Die
Fassade lag nach innen, der Hof war der eigentliche Mittelpunkt des Gebäudes, ein ringsum
eingeschlossener Raum, wo zu allen Tageszeiten schattige Kühle waltete, wo sich der Brunnen
befand und die Statuen in günstigem Lichte standen. Die nach außen rauhen und düsteren
Massen der Paläste öffneten sich um den Hof in leichten, offenen Säulengängen. Hier war
man sicher und hatte dennoch den freien Himmel über sich.
Alexander, Es waren Männer aus den ersten Fürstenfamilien, jung, streitbar und mit glühenden Leiden-
Lucrezia schäften. Ungeheure Summen hatte der Kardinal Ascanio, Lodovico Sforzas Bruder, drangesetzt,
Borgia um nach Innozenz' Tode seine Wahl zum Papste durchzusetzen, ebenso der Kardinal Vincula,
der wie Ascanio seine eigene Armee ins Feld stellen konnte, so mächtig waren beide, dennoch
besiegte sie diesmal Alexander Borgia, der am meisten vermocht hatte, und zu der Zeit, wo
Michelangelo ankam, Rom beherrschte. Es war der erste Papst, der öffentlich von seinen
Kindern sprach; früher war immer nur von Neffen und Nichten die Rede gewesen. Lucrezia
Borgia war seine Tochter. Ihrem ersten Manne wurde sie wieder abgekauft, von ihrem zweiten
geschieden, ihr dritter vor dem Vatikan selber niedergestoßen, und als er sich dennoch zu

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