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Grimm, Herman
Michelangelo: sein Leben in Geschichte und Kultur seiner Zeit, der Blütezeit der Kunst in Florenz und Rom — Berlin: Safari-Verlag, 1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.71912#0060
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Michelangelo, Leonardo und Raffael in Florenz
das der Kirchenvorstand nach seinen Vorschlägen als Werkstätte eigens für ihn erbauen ließ,
so daß es mit der Ablieferung des letzten Apostels völlig in seinen Besitz gelangte. Dies war
Der Apostel gewiß lockend, und trotzdem kam nichts zustande als der Apostel Matthäus in den gröbsten
Matthäus Umrissen, der heute im Hofe der Akademie von Florenz steht.
Michelangelo wollte seinen David fertig bringen. Hier hielt er Wort. Zwar vollendete er
ihn nicht, wie Condivi sagt, in achtzehn Monaten, auch nicht in den bedungenen zwei Jahren:
die Arbeit dauerte einige Monate darüber hinaus; aber wenn man die unruhigen Verhältnisse
der Stadt bedenkt und die Zwischenaufträge, denen Michelangelo sich nicht zu entziehen ver-
mochte, so erscheint dieser Zeitraum gering genug. Er arbeitete so fleißig, daß er nachts oft
angekleidet schlief, wie er von der Arbeit hinfiel, um anderen Tages gleich wieder daranzu-
gehen. Am 25. Januar 1504 beriefen die Konsuln der Wollenweberzunft eine Versammlung
der ersten florentinischen Künstler. Der David des Michelangelo sei so gut wie fertig: es
solle beraten werden, wo er am besten aufzustellen sei.
Beratung über Das hierüber geführte Protokoll ist noch vorhanden. Es teilt den Wortlaut der vorgebrachten
Ades'Davä Meinungen mit und ist auch deshalb wichtig, weil es über den Personalbestand der im Jahre
1504 zu Florenz befindlichen Künstler von Bedeutung Auskunft gibt. Es führt uns in die Be-
wegung jenes Tages, an dem Michelangelo zum ersten Male sein Werk den Blicken der Meister
preisgab. In der Werkstätte angesichts der Statue traten die Männer zusammen. Michelangelo
hatte die letzte Zeit einen Bretterzaun um sein Werk gezogen und niemandem Zutritt gestattet,
jetzt aber stand der jugendliche Riese unverhüllt vor aller Augen und forderte Lob und Tadel
von denen, die in der ganzen Stadt zu einem Urteil die Berufensten schienen.
Messer Francesco, erster Herold der Signorie, eröffnete die Sitzung. Ich habe die Sache in
meinem Geiste hin und her überlegt und reiflich erwogen, beginnt er. Zwei Orte habt ihr, wo die
Statue stehen kann, entweder da, wo die Judith steht, oder im Hofe des Palastes, wo der David steht,
beides Werke Donatellos. Der David, der mit dem einen Fuße auf das Haupt Goliaths tritt
und in der Hand ein Schwert hält, ist dieselbe Statue, die Michelangelo für den Herzog von
Nemours zu kopieren hatte. Der Hof des Palastes, in dem sie damals befindlich war, ist eng,
weil das Gebäude sich so hoch erhebt, und von schöner Architektur, und das Licht, das aus der
Höhe herabfällt, von eigentümlich bläulichem Schimmer. — Für den ersten Ort, fährt Messer
Francesco fort, spricht, daß er für die Judith, als ein böses Omen, nicht geeignet ist. Denn unsere
Abzeichen sind das Kreuz und die Lilie, und es ist nicht gut, daß da eine Frau stehe, welche
einen Mann tötet. Auch wurde sie unter einer ungünstigen Konstellation daselbst aufgestellt. Deshalb
ist es auch seit der Zeit immer schlechter und schlechter bei uns gegangen und Pisa verloren worden.
Was dagegen den David im Hofe des Palastes anbetrifft, so ist er unvollkommen, denn von hinten
angesehen, bietet sein eines Bein einen häßlichen Anblick dar. Deshalb geht mein Rat dahin, dem
Giganten einen dieser beiden Plätze zu geben, am liebsten den, wo die Judith steht.
Wie seltsam klingt der politische Aberglaube dieses Mannes! So war der Boden beschaffen,
auf dem Savonarola festen Grund gefunden zu haben glaubte.
Nach ihm nimmt Cosimo Roselli das Wort, einer der älteren Meister. Am besten würde
die Statue im Inneren des Palastes stehen. Übrigens sei seine Ansicht gewesen, man solle sie
an der Treppe vor der Kirche rechter Hand auf einen hohen verzierten Unterbau stellen.
Sandro Botticelli äußerte hierauf, Roselli habe gerade den Ort getroffen, den er auch meine.
Alle Vorübergehenden sähen den David da am besten. Als Pendant auf die andere Seite könne
man eine Judith hinstellen. Doch meint er, auch unter der Loggia neben dem Palaste der Regie-
rung sei ein guter Platz für sie.

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