MICHELANGELO UND JULIUS II.
1505—1507
[6, 1—3]
Die Politik des Vatikans hatte durch den Wechsel der Personen keine allzu große Veränderung Michelangelo
erlitten. Cesare Borgias Zweck war die Herstellung eines nationalen einigen Reiches gewesen, vonJ^us U-
Julius II. wollte nichts anderes. Auch er hatte eine Familie, die er groß zu machen berufen
suchte, auch ihn unterstützte Gift, Mord, Verstellung und offene Gewaltsamkeit. Wie die
Borgias mußte er zwischen Spanien und Frankreich die vorteilhafteste Mitte zu halten suchen.
In zwei Punkten aber unterschied er sich vom Papste Alexander: er ließ nicht durch andere
Krieg führen, sondern zog in eigener Person zu Felde, und was er eroberte, sollte der Kirche
gehören und nicht den Roveres, seiner Familie. Diese beschränkte er auf Urbino, ihr Herzog-
tum. Als er starb, hinterließ er einen Schatz in den Gewölben der Engelsburg, den seine Ver-
wandten nicht berühren durften, den kein anderer als der auf ihn folgende Papst besitzen
sollte. Eme rauhe, stolze Würde liegt in Julius' Auftreten und seine Wildheit artet nie in Grau-
samkeit aus. Was ihn aber vor allen anderen Päpsten vor ihm und nach ihm geadelt hat, ist
seine Freude an den Werken großer Künstler und der Blick, mit dem er sie erkannte und
zu sich emporzog.
Unter den Männern, die er sogleich nach Rom berief, war einer der vornehmsten Giuliano
di San Gallo. Dieser hatte in früheren Zeiten Ostia für ihn als Kardinal Vincula befestigt. Man
setzt diese Bauten in den Anfang der achtziger Jahre. San Gallo kam, als er damals nach Ostia
berufen ward, aus Neapel, wo er im Auftrage des alten Lorenzo dei Medici einen Palast für den
Herzog von Kalabrien, den Sohn des Königs, baute. Er gehörte zu den glücklichen Leuten, die
überall Ruhm und fürstliches Wohlwollen finden. In Mailand war er von Lodovico Sforza
glänzend empfangen worden, in Rom mußte er für Vincula einen Palast bauen, Alexander VI.
beschäftigte ihn, Cesare Borgia desgleichen; in Savona, dem Geburtsorte der Rovere, baute
er für Vincula wiederum, dem er dann nach Frankreich folgte, wo ihm der König wohl-
geneigt war; endlich nach Florenz zurückgekehrt, wurde er von der Regierung mit fortlaufen-
den Aufträgen versehen, bis ihn jetzt sein alter Gönner abermals nach Rom befahl.
San Gallo machte den Papst auf Michelangelo aufmerksam, und mitten aus der Arbeit am
Karton heraus wurde dieser jetzt nach Rom berufen. Hundert Skudi Reisegeld zahlte man
ihm auf der Stelle aus. Anfang März 1505 ist er in Rom eingetroffen.
Julius wußte trotz der Eile, mit der er ihn verlangt hatte, nicht gleich, was er ihm zu tun st. Peter
geben sollte. Einige Zeit ging darüber hin, bis er ihm den Auftrag zu einem kolossalen Grab-
monument erteilte, das er für sich selber im Sankt Peter errichten lassen wollte. Michelangelo
entwarf eine Zeichnung und der Papst, entzückt davon, befahl ihm, in der Basilika von Sankt
Peter sogleich den besten Platz für das Monument ausfindig zu machen.
Diese Kirche, ein ungeheures Werk aus den ältesten Zeiten des Christentums, an dem Jahr-
hunderte hindurch weitergebaut worden war, besaß eine Fülle von Kunstschätzen. Giotto
hatte Mosaikbilder für sie geliefert, die Pollaiuoli waren unter den letzten Florentinern, die
in ihr arbeiteten. In einer ihrer Nebenkapellen, derjenigen, welche der heiligen Petronella ge-
weiht war, stand Michelangelos Pieta.
Nikolaus V. faßte zuerst den Plan einer Umgestaltung, er wollte Palast und Kirche von
Grund aus erneuern. Ein Modell wurde angefertigt und der Bau im Jahre 1450 begonnen.
Fünf Jahre später jedoch starb der Papst. Paul II. baute nach ihm weiter. Alles, was bei
Michelangelos Ankunft hergestellt worden war, bestand aus dem Anfänge einer neuen Tribüne,
5 Grimm, Michelangelo
65
1505—1507
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Die Politik des Vatikans hatte durch den Wechsel der Personen keine allzu große Veränderung Michelangelo
erlitten. Cesare Borgias Zweck war die Herstellung eines nationalen einigen Reiches gewesen, vonJ^us U-
Julius II. wollte nichts anderes. Auch er hatte eine Familie, die er groß zu machen berufen
suchte, auch ihn unterstützte Gift, Mord, Verstellung und offene Gewaltsamkeit. Wie die
Borgias mußte er zwischen Spanien und Frankreich die vorteilhafteste Mitte zu halten suchen.
In zwei Punkten aber unterschied er sich vom Papste Alexander: er ließ nicht durch andere
Krieg führen, sondern zog in eigener Person zu Felde, und was er eroberte, sollte der Kirche
gehören und nicht den Roveres, seiner Familie. Diese beschränkte er auf Urbino, ihr Herzog-
tum. Als er starb, hinterließ er einen Schatz in den Gewölben der Engelsburg, den seine Ver-
wandten nicht berühren durften, den kein anderer als der auf ihn folgende Papst besitzen
sollte. Eme rauhe, stolze Würde liegt in Julius' Auftreten und seine Wildheit artet nie in Grau-
samkeit aus. Was ihn aber vor allen anderen Päpsten vor ihm und nach ihm geadelt hat, ist
seine Freude an den Werken großer Künstler und der Blick, mit dem er sie erkannte und
zu sich emporzog.
Unter den Männern, die er sogleich nach Rom berief, war einer der vornehmsten Giuliano
di San Gallo. Dieser hatte in früheren Zeiten Ostia für ihn als Kardinal Vincula befestigt. Man
setzt diese Bauten in den Anfang der achtziger Jahre. San Gallo kam, als er damals nach Ostia
berufen ward, aus Neapel, wo er im Auftrage des alten Lorenzo dei Medici einen Palast für den
Herzog von Kalabrien, den Sohn des Königs, baute. Er gehörte zu den glücklichen Leuten, die
überall Ruhm und fürstliches Wohlwollen finden. In Mailand war er von Lodovico Sforza
glänzend empfangen worden, in Rom mußte er für Vincula einen Palast bauen, Alexander VI.
beschäftigte ihn, Cesare Borgia desgleichen; in Savona, dem Geburtsorte der Rovere, baute
er für Vincula wiederum, dem er dann nach Frankreich folgte, wo ihm der König wohl-
geneigt war; endlich nach Florenz zurückgekehrt, wurde er von der Regierung mit fortlaufen-
den Aufträgen versehen, bis ihn jetzt sein alter Gönner abermals nach Rom befahl.
San Gallo machte den Papst auf Michelangelo aufmerksam, und mitten aus der Arbeit am
Karton heraus wurde dieser jetzt nach Rom berufen. Hundert Skudi Reisegeld zahlte man
ihm auf der Stelle aus. Anfang März 1505 ist er in Rom eingetroffen.
Julius wußte trotz der Eile, mit der er ihn verlangt hatte, nicht gleich, was er ihm zu tun st. Peter
geben sollte. Einige Zeit ging darüber hin, bis er ihm den Auftrag zu einem kolossalen Grab-
monument erteilte, das er für sich selber im Sankt Peter errichten lassen wollte. Michelangelo
entwarf eine Zeichnung und der Papst, entzückt davon, befahl ihm, in der Basilika von Sankt
Peter sogleich den besten Platz für das Monument ausfindig zu machen.
Diese Kirche, ein ungeheures Werk aus den ältesten Zeiten des Christentums, an dem Jahr-
hunderte hindurch weitergebaut worden war, besaß eine Fülle von Kunstschätzen. Giotto
hatte Mosaikbilder für sie geliefert, die Pollaiuoli waren unter den letzten Florentinern, die
in ihr arbeiteten. In einer ihrer Nebenkapellen, derjenigen, welche der heiligen Petronella ge-
weiht war, stand Michelangelos Pieta.
Nikolaus V. faßte zuerst den Plan einer Umgestaltung, er wollte Palast und Kirche von
Grund aus erneuern. Ein Modell wurde angefertigt und der Bau im Jahre 1450 begonnen.
Fünf Jahre später jedoch starb der Papst. Paul II. baute nach ihm weiter. Alles, was bei
Michelangelos Ankunft hergestellt worden war, bestand aus dem Anfänge einer neuen Tribüne,
5 Grimm, Michelangelo
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