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Grimm, Herman
Michelangelo: sein Leben in Geschichte und Kultur seiner Zeit, der Blütezeit der Kunst in Florenz und Rom — Berlin: Safari-Verlag, 1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.71912#0114
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Die Grabmäler Julius' II. und der Medici
emporschwingt, und nun, indem sie ihren Inhalt verlieren, ihn dennoch so ganz noch zu
umhüllen scheinen.
Mit einem über die Brust unter den Achseln herlaufenden Bande ist er an die Säule gefesselt,
es schwinden ihm eben die Kräfte, das Band hält ihn aufrecht, er hängt beinahe darin, die eine
Achsel wird emporgezwängt, zu der der rückwärts sinkende Kopf sich seitwärts hinneigt. Die
Hand dieses Armes ist auf die Brust gelegt, der andere erhebt sich eingeknickt hinter dem Haupte
in der Stellung, wie man im Schlafe den Arm zu einem Kissen des Kopfes macht, und ist so am
Gelenk angefesselt. Die Knie, dicht aneinander gedrängt, haben keinen Halt mehr; keine Muskel
ist angespannt; alles kehrt in die Ruhe zurück, die den Tod bedeutet.
Wie die Meister der alten Griechen, arbeitete Michelangelo, als Mitglied eines schönen
mächtigen Volkes, zu dessen Verherrlichung. Im Herzen den noch ungebrochenen Stolz auf
die Freiheit des Vaterlandes, sah er sich von Männern umgeben, welche dachten wie er, und
einen Fürsten sich zur Seite, dessen Devise die Wiederherstellung der Freiheit von Italien war.
So wahrhaft die für das Grabmonument dieses Mannes bestimmte Statue des Moses seinen
Willen, seine Kraft und seine Sehnsucht zum Ausdruck bringt, ebenso wahrhaftig ist auch
die Gestalt des sterbenden Jünglings kein bloßes Symbol geblieben: mit dem Tode Julius II.
starben die Künste hin. Nach ihm kam kein Fürst mehr, der würdige Aufgaben für große
Künstler zu ersinnen vermochte, und keine Zeit der Freiheit brach ein in irgendeinem Lande,
durch die den Werken der bildenden Kunst jener letzte Schimmer der Vollendung und groß-
artiger, hinreißender Inhalt allein verliehen werden kann.
Michelangelo Das Emporkommen der Medici in Florenz und in Rom brachte Michelangelo die doppelte
als Florentiner Aufgabe, nicht nur als römischer Künstler mit Papst Leo, sondern auch als Florentiner Bürger
sich mit den neuen Gebietern von Florenz gut zu stellen.
Denn als Künstler blieb ihm in Florenz nichts mehr zu tun. Von den alten unerledigten Auf-
trägen hatte er sich freigemacht. Die zwölf Apostel für Santa Maria del Fiore waren schon
1512 unter eine Anzahl jüngerer Bildhauer verteilt worden, die sie im Laufe der nächsten zehn
Jahre zustande brachten. Von der kolossalen Statue für den Platz am Regierungspalaste war
keine Rede mehr. Ebensowenig von der Malerei im Saale des Consiglo grande. Soderini war
ja fort, das Consiglio aufgehoben und der Saal, seiner früheren Würde entkleidet, absichtlich
zum Aufenthalte von Soldaten erniedrigt, deren an die Wände anstoßende Piken vielleicht
die Schuld trugen, daß Leonardos bereits vollendetes Werk zu verschwinden begann.
Michelangelo scheint das abermalige Emporkommen der Medici zu jener Zeit nicht mit
ungünstigen Augen betrachtet zu haben.
Michelangelos Teuerster Vater, hatte er nach dem Wiedereintritte der ehemaligen Herren in die Stadt an
stf''"^ den alten Lodovico geschrieben, in Eurem letzten Briefe steht, ich möchte kein Geld bei mir im
Hause halten und keins bei mir tragen, und dann, es sei bei Euch darüber gesprochen worden, daß ich
mich in ungünstiger Weise über die Medici geäußert hätte. Was das Geld anbelangt, so liegt, soviel
ich davon habe, in der Bank bei den Balduccis, und ich führe bei mir zu Hause oder in der Tasche
nur, was ich zu den täglichen Ausgaben bedarf. Was die Medici anlangt, so habe ich niemals gegen
sie gesprochen, es sei denn, wie alle Welt über sie geurteilt hat. So zum Beispiel über das, was
in Prato geschehen ist. Darüber aber würden die harten Steine geredet haben, wenn sie Stimme hätten.
Und in der Art ist viel über sie gesagt worden, was ich gehört und wiederholt habe: ob es wahr sei,
daß sie so auftreten und so übel wirtschaften; doch will ich nicht sagen, daß ich es geglaubt hätte,
und Gott gebe, daß es gelogen sei. Vor vier Wochen aber hat jemand, der sich meinen besten Freund
nannte, sehr stark bei mir gegen sie losgezogen, ich verbat mir das jedoch und sagte ihm, es sei nicht

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