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Schlössern der Adligen vertrieben und zu Spassmachern niederer Art
herabgedrückt, obendrein noch, um an den Unglücklichen ihr Mütchen zu
kühlen, allerlei — zum Teil jeglicher Begründung bare und wohl stets in
Wahrheit grundlose — Verdächtigungen nachsagten, wird man füglich be-
zweifeln dürfen, aber man wird, wenn man überhaupt richten will, da man
ja das Mittelalter nicht nach dem Massstabe einer entwickelteren Kultur
beurteilen darf, den Adligen die Hauptschuld geben müssen, in deren Auf-
trag oder zum mindesten doch in deren Sinne diese Angriffe erfolgten.
Man erkennt hier wieder den zumeist verderblichen Einfluss der Gönner
auf die Dichter und die Dichtkunst.
Soweit es sich hier um Dichtungen handelt, die den volkstümlichen
epischen Werken nahesfehen, wird man als Grund für die Ausfälle das
Bestreben bezeichnen können, sich vor dem Publikum mehr Ansehen und
Eindruck zu verschaffen und damit mehr Lohn einzuheimsen. (Vgl. Frey-
rnond, Jongl. und Menestr. S. 6).
S2) Wir haben mit Legrand d’Aussy (Fabl. I, 161 u. 368) in v. 13
gelesen: L’en ne doit Chrétien de Troies, aber F. Wolf (Sitzungsber. der
Wiener Akad., phil.-hist. Klasse 121, 158) schreibt, „eine Stelle gegen Chré-
tien gerichtet,“ und Armstrong druckt, wie wir aus der Rezension seiner
Ausgabe in der Romania 29, 594ff. ersehen, L’en en doit . . . Die Bemer-
kungen der Hist. litt. 19, 704 und Oröbers (Grundr. II, 519) lassen nicht
erkennen, ob ihrer Ansicht gemäss der Dichter seinen Vorgänger tadeln
oder rechtfertigen wolle. Vgl. noch Holland, Chrét. von Proie, S. 243, wo
zur grammatischen Erklärung des Verses auf eine Bemerkung Diezens in
der ersten Ausgabe von dessen Grammatik verwiesen wird, die sich aber
in den späteren nicht mehr findet.
S3) Voretzsch (Einf. in d. SI. d. afz. Lit. S. 306) betrachtet die Polemik
gegen die Entstellung der wahren Erzählung u. a. als-ein Charakteristikum des
nahen Verhältnisses, in dem der Er. noch zu den Ch. de g. steht. H. de la
Villemarqué (Romans de la Table ronde 3 S. 119) hat angenommen, dass
Chr. seine Version notgedrungen (?) den früheren Bearbeitungen gegenüber
als die einzig wahre hingestellt habe. Als völlig verfehlt bezeichnet Frey-
mond (Vollmöllers Jahresb. ibid.) die Ansicht Othniers in seiner Diss. über
Geraint, Chr. habe den voraussichtlichen Nachahmungen und Plagiaten
gegenüber seine Version als die allein echte bezeichnet.
8I) Es entbehrt nicht eines gewissen Humors, Raoul, der Chrétien
tüchtig nachahmt, anderen Dichtern Unselbständigkeit vorwerfen zu sehen.
Friedw., der (Einl. z. V. R., S. 100 Anm. 1) bestreitet, sich in Raoul verliebt
zu haben, meint, diese hätten die Geringschätzung R.’s verdient, „weil . . .
ihre Dichtungen bestimmten Interessen dienten und nicht wie die höhere
Kunst das Vergnügen als Selbstzweck hatten.* (Mer.-Ausg. S. 232). Aber
sind denn wirklich die Dichtungen Raouls oder selbst alle Chrétienschen
darüber erhaben?
86) Wir haben hier — bei weitem nicht sämtliche Aeusserungen
zusammengestellt, in denen die höfischen Kunstdichter Gott in irgendeinem
Schlössern der Adligen vertrieben und zu Spassmachern niederer Art
herabgedrückt, obendrein noch, um an den Unglücklichen ihr Mütchen zu
kühlen, allerlei — zum Teil jeglicher Begründung bare und wohl stets in
Wahrheit grundlose — Verdächtigungen nachsagten, wird man füglich be-
zweifeln dürfen, aber man wird, wenn man überhaupt richten will, da man
ja das Mittelalter nicht nach dem Massstabe einer entwickelteren Kultur
beurteilen darf, den Adligen die Hauptschuld geben müssen, in deren Auf-
trag oder zum mindesten doch in deren Sinne diese Angriffe erfolgten.
Man erkennt hier wieder den zumeist verderblichen Einfluss der Gönner
auf die Dichter und die Dichtkunst.
Soweit es sich hier um Dichtungen handelt, die den volkstümlichen
epischen Werken nahesfehen, wird man als Grund für die Ausfälle das
Bestreben bezeichnen können, sich vor dem Publikum mehr Ansehen und
Eindruck zu verschaffen und damit mehr Lohn einzuheimsen. (Vgl. Frey-
rnond, Jongl. und Menestr. S. 6).
S2) Wir haben mit Legrand d’Aussy (Fabl. I, 161 u. 368) in v. 13
gelesen: L’en ne doit Chrétien de Troies, aber F. Wolf (Sitzungsber. der
Wiener Akad., phil.-hist. Klasse 121, 158) schreibt, „eine Stelle gegen Chré-
tien gerichtet,“ und Armstrong druckt, wie wir aus der Rezension seiner
Ausgabe in der Romania 29, 594ff. ersehen, L’en en doit . . . Die Bemer-
kungen der Hist. litt. 19, 704 und Oröbers (Grundr. II, 519) lassen nicht
erkennen, ob ihrer Ansicht gemäss der Dichter seinen Vorgänger tadeln
oder rechtfertigen wolle. Vgl. noch Holland, Chrét. von Proie, S. 243, wo
zur grammatischen Erklärung des Verses auf eine Bemerkung Diezens in
der ersten Ausgabe von dessen Grammatik verwiesen wird, die sich aber
in den späteren nicht mehr findet.
S3) Voretzsch (Einf. in d. SI. d. afz. Lit. S. 306) betrachtet die Polemik
gegen die Entstellung der wahren Erzählung u. a. als-ein Charakteristikum des
nahen Verhältnisses, in dem der Er. noch zu den Ch. de g. steht. H. de la
Villemarqué (Romans de la Table ronde 3 S. 119) hat angenommen, dass
Chr. seine Version notgedrungen (?) den früheren Bearbeitungen gegenüber
als die einzig wahre hingestellt habe. Als völlig verfehlt bezeichnet Frey-
mond (Vollmöllers Jahresb. ibid.) die Ansicht Othniers in seiner Diss. über
Geraint, Chr. habe den voraussichtlichen Nachahmungen und Plagiaten
gegenüber seine Version als die allein echte bezeichnet.
8I) Es entbehrt nicht eines gewissen Humors, Raoul, der Chrétien
tüchtig nachahmt, anderen Dichtern Unselbständigkeit vorwerfen zu sehen.
Friedw., der (Einl. z. V. R., S. 100 Anm. 1) bestreitet, sich in Raoul verliebt
zu haben, meint, diese hätten die Geringschätzung R.’s verdient, „weil . . .
ihre Dichtungen bestimmten Interessen dienten und nicht wie die höhere
Kunst das Vergnügen als Selbstzweck hatten.* (Mer.-Ausg. S. 232). Aber
sind denn wirklich die Dichtungen Raouls oder selbst alle Chrétienschen
darüber erhaben?
86) Wir haben hier — bei weitem nicht sämtliche Aeusserungen
zusammengestellt, in denen die höfischen Kunstdichter Gott in irgendeinem