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Spanien

DRITTES BUCH

Der Plalereskenstil und die Zeit Karls V

Jene fremden Werke, wie der neue Gesckmack selbst, entfesselten seit
dem zweiten Jakrzehnt des 1G. Jahrhunderts einen gewaltigen Strom nack-
eifernden Willens, der eine ganze Welt glänzendster und formenfreudigster
Kunstdenkmäler brackte. Zakllose Paläste und präcktige Wohnungen, prackt-
volle Familiengrabstätten, öffentliche Gebäude des Nutzens, der Wohltätigkeit
und der Repräsentation, kirchlicke Ausstattungen aller Art, Um- und Ausbauten
und noch ein uniiberselibares Meer anderer künstlerischer Werke bis zu den
letzten Leistungen der Dekoration und des Kunstgewerbes sind Zeugen eines
herrlichen Wettbewerbs im Dienste der neu gewordenen und gewonnenen Kunst-
iibung. Es entstand jene frühe Renaissance, die die letzte Zeit der katholischen
Könige, die Regierungszeit ihres Enkels Karl Y und noch einen erkeblichen
Teil derjenigen seines Soknes Philipp umfaßt, die man ikres iibersckäumenden
Schmuckreicktums und ihrer Feinheit, ja oft Zartheit und Delikatesse halber den
Platereskenstil (den Stil der plateros, Silberschmiede) zu nennen liebt. Er war
niir möglich, weil damals Spanien zum ersten Land der Welt geworden, nickt
nur durch die neuen großen Ausbreitungen in Italien (von Mailand bis Nenpel),
und die gewaltigen Eroberungen in der neuen Welt (Westindien, Mexiko, Peru),
sondern auch durck seinen König Karl I, der als der Fünfte seines Namens
zugleich deutscher Kaiser, Herrscker Österreicks und der Niederlande war, in
dessen Reicke die Sonne nickt unterging; nnd weil Spanien für Europa selbst
ein Fiikrer wurde durck unerhörten neuen Reichtum, durch Handel und Gewerbe,
und sogar auf geistigem Gebiete. Denn die großen Anfänge einer neuen Literatur,
schon seit Boscän, Yega, Acuiia, lagen in der iberischen Halbinsel, und die jenen
Tagen folgende spaniscke „goldene“ Zeit des Rueda, Molina, Cervantes, Lope de
Vega, Calderon — der Portugiesen Gil Vicente und Camoes —, in der Kunst des
Montanes, Zurbaran, Velazquez, Cano, Murillo überstraklte mit ikrem Glanze
Europa in jener späten kerrlichen Blüte, die, nock in dem glänzenden 16. Jakr-
hundert wurzelnd, sicli im folgenden erst ganz entfaltete.

Daß hier die neue Ricktung, trotzdem man sie obra del Romano nannte
und aucli wissenschaftlich zu ergründen suclite, sick keineswegs an die altrömische
Baukunst und ihre neubegründete Lekre anschloß, sondern eigene Wege ging,
liegt in der Fülle der Überlieferungen, einerseits der letzten tiberprächtigen
Gotik (florido), anderseits der Maurenkunst, die als mudejar noch lebendig
war, aber auch in der vorwiegend dekorativen Formenüppigkeit der italienischen
frtihen Renaissance, besonders Oberitaliens, die zunächst vorbildlich wurde. Aus
diesen Quellen floß unerschöpflich der Trieb zu stets neuer Prackt; dazu kam
das eigenartige spanische Temperament, Ruhmfreudigkeit und Stolz, gepaart mit
einem gewaltigen Tatendrang, wie mit Abenteurerlust.

Es war also nichts weniger als eine einfacke Übertragung der italieni-
schen Renaissance, die wir kier vor uns seken, vieimekr ein freier Eklektizis-
 
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