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Kapitel I: Die Großkruzifixe des zehnten und elften Jahrhunderts

Um die Bedeutung des Typus des toten Christus am Kreuz, wie
ihn das Gerokreuz vertritt, für die ottonische Monumentalskulp-
tur bestimmen zu können, müssen wir uns einen Überblick über die
monumentalen Kruzifixe aus Holz und Metall des zehnten und elf-
ten Jahrhunderts verschaffen. Mit einer einzigen Ausnahme, dem
Aribertkreuz im Mailänder Dom, gehören die erhaltenen Großkruzi-
fixe dieser Zeit ausschließlich der deutschen Kunst an. Sicher
hat es aber auch in den übrigen Gebieten Westeuropas Großkruzi-
fixe gegeben. Eine Äußerung des Kanonikus Bernhard von Angers um

1000 setzt das Vorhandensein von plastischen Kruzifixen als all-
1)

gemeine Sitte voraus . Die meisten uns bekannten ottonischen

Großkruzifixe gehören in den rheinländischen, westfälischen und

2)

niedersachsischen Bereich J.

Die Reihe der ottonischen Großkruzifixe beginnt mit dem Gero-
3)

kreuz . Die Kölner Lokaltradition, die es seit jeher als eine
Stiftung des Erzbischofs Gero von Köln ansieht, wird bestätigt
von einer Nachricht in der im frühen elften Jahrhundert entstan-
denen Chronik des Thietmar von Merseburg. Die Regierungszeit
Geros 969-976 gibt also die Möglichkeit einer sehr engen zeitli-
chen Eingrenzung. Das Corpus aus Eichenholz ist 1,87 m hoch, die
Spannweite der Arme beträgt 1,65 m, die Fassung wie auch das
Kreuz sind neu . Im Hinterkopf befindet sich ein Reliquienrepo-
sitorium.

Mit erschütternder Kraft und Ausdrucksfülle hat uns der Schnit-
zer den toten Heiland aim Kreuz vor Augen gestellt. Christus
hängt tief herabgesunken am Kreuz. Der Leib ist schwer. Er zerrt
die Arme nach unten und lastet mächtig auf den Füßen, die an das
schräge Suppedaneum nebeneinandergenagelt sind. Von den schlaff

herabhängenden Fingern durch die straff nach unten gespannten Ax'-
5')

me in den nach links ausschwingenden, nein zur Seite sackenden
Leib - gerade die Aktivität, die das Wort Schwingen bezeichnet,
ist hier nicht gemeint - reicht das Grundmotiv des Hängens. Die
Beine stehen auf dem schrägen Suppedaneum. Unter dem Gewicht des
 
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