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Universität Heidelberg [Hrsg.]
Akademische Mitteilungen für die Studierenden der Ruprecht-Karls-Universität zu Heidelberg: Sommer-Halbjahr 1914 — Heidelberg, 1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.25144#0090
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Heibelbebgeb Akademische MiTTEiLusraiH

Einladung.

Vom 25. August bis 15. Oktober veranstaltet der Deutsche
Siedlerbund in dem von ihm im Arbeiterviertel zu Berlin-Char-
lottenburg errichteten Siedlungsheim einen Ferienkursus zur Ein-
führung in soziale Grossstadtprobleme und praktisch-
sozialeTätigkeit (Settlement-Arbeit.) Wir richten an Berliner
und auswärtige Studenten und Studentinnen (auch Nicht-Studen-
ten sind willkommen) die Einladung, einen Teil der Ferien zur
Einführung in die wichtigsten sozialen Fragen und Arbeiten zu
benutzen und, wenn möglich, selbst im Arbeiterviertel wohnend,
sich an der dort geübten Tätigkeit zu beteiligen.

Der Kursus wird sich in einen vorwiegend theoretischen,
etwa drei Wochen beanspruchenden, und einen praktischen Teil
gliedern. Es werden von Fachleuten Vorträge gehalten und Er-
örterungen eingeleitet werden über die Entstehung des Arbeiter-
viertels und seine Wohnungsverhältnisse, über Industrie-Arbeit,
Arbeitslosigkeit und ihre Bekämpfung, Armenpflege, Jugend-
fürsorge, Jugendpflege (der verschiedenen Richtungen), Kranken-
pflege, Obdachlosigkeit, Bildungswesen, Genossenschafts- und
Gewerkschaftswesen. In Ergänzung hierzu werden Besichtigun-
gen unternommen von schlechten Wohnvierteln, ärztlichen und
armenpflegerischen Fürsorge- und Beratungsstellen, Kranken-
häusern. Asylen, Arbeitsnachweisen, Jugendheimen, Jugendgerich-
ten, Volksbüchereien, Fabrikbetrieben, Verkehrsanlagen Waren-
häusern, Elektrizitätswerken, Baugenossenschaften usw. Da-
zwischen finden Erörterungen der Teilnehmer über grundsätz-

Altes Sprachgut aus den Gemeinden

Von A lfred Bas

Man hat es nicht leicht, wenn man sich durch eine Litera-
tur von nahezu 400 Bänden, Schriften und Aufsätzen aus Zei-
tungen und Zeitschriften in vielerlei Sprachen durcharbeiten
will, um die Ergebnisse zu sammeln und zu sichten, die der
Forscherfleiss Gelehrter und Ungelehrter zusammengetragen hat
seit vier Jahrhunderten über die Kolonien oder Enklaven deut-
scher Zunge in Oberitalien und Südtirol, die wir heute deut-
sche Sprachinseln nennen.

Mit Humor muss man alte Märchen und Volksdeutungen
(Volksetymologie) abtun, wie solche des alten Mariani (Trento
con il sacro Concilio), der uns berichtet, dass Attila mit seinen
Hunnen ins „Terragnol“ gekommen sei und als er das Tal sah,
ausgerufen haben soll: „Terr(am) hanc nolo“ (Dies Land mag
ich nicht), und sei schleunigst umgekehrt, hätte aber dadurch
dem Tale den Namen gegeben.

Die alte Mär und Volksdeutung: „Bir (Wir) saint Cim-
barn!" der Bewohner der Sette Communi hat früher verführt,
die Siedler der vizentinischen Berge als Nachkommen der alten
Cimbern anzusprechen, während die Wissenschaft oben erwähn-
ter Forscher heute nachgewiesen hat, dass diese Mundart wie
auch die der Sprachinseln südlich und nördlich der Brenta: dem
bajuwarisch-tirolischen, beziehungsweise oberdeutschen Sprach-
stamme zugehört und dem Charakter des 12. bis 13. Jahrhunderts
entspricht. (Paul, Grundriss der germanischen Philologie, I, 540.)
Vielfach begegnet man aber heute noch Aufsätzen, die die Goten,
Langobarden, Alemannen für diese Siedelungen verantwortlich
machen und erst die Sprachdenkmale alter und neuer Zeit haben
Klarheit zu schaffen gewusst und künftigen Forschern den Bo-
den geebnet.

Gewiss sind die Züge der germanischen Völkerstämme durch
diese Gegenden geflutet, aber diese christlichen Germanen sind
so wenig ihre Gründer gewesen, wie die heidnischen Germanen
aus den Tagen des Marius und Sulla. Oberdeutsches Mittelalter
stellen diese Gemeinden dar, sie sind Gründungen von Berg-
knappen, Holzarbeitern und Hirten, die sowohl aus Deutschtirol
als aus den damals teils deutschen oberitalienischen Fluren stamm-
ten. Zuzüge aus Deutschland und Deutschösterreich mögen ver-
einzelt zu verzeichnen sein, aber die Lautformen min, bür, lüt
sind nicht niederdeutsch — sächsisch — wie manche Besucher
der Sprachinseln angeben, sondern auch hochdeutsch-alemanisch,
das vom schwäbischen zu scheiden ist.

Hochinteressant ist nun folgende Feststellung: In Südtirol
haben wir nördlich der Brenta vom Suganertal 1. die Gemeinden
des deutschen Fersentales, und südlich der Brenta 2. die Sprach-
insel Lusern, das letzte deutsche Dorf von Tirol. Jenseits der
Grenze schliessen sich 3. die 7 Gemeinden von Vincenza mit
dem Hauptorte Asiago-Schläge an.

Ein wesentlicher Unterschied spaltet nun die drei Gebiete
in nördlich der Brenta (1.) und südlich der Brenta (2. und 3.).
Altes a wird im Bayrischen des 12. Jahrhunderts zu o ((j) und
unsere Gruppen scheiden sich: nördlich (Fersental) altes a wird
o mit a-Umlaut, südlich (Lusern — 7 Gemeinden) altes a bleibt
a mit e-Umlaut.

Ist aber die Trennung der Gemeinden nördlich und südlich
der Brenta im 12. Jahrhundert erfolgt, oder geht das südliche a

liehe Fragen und zwanglos-gesellige Veranstaltungen statt. Die
Teilnahmegebühr beträgt 2 Mk. Für Auswärtige sind Wohn-
ungen im Siedlungsgebiete zum Monatspreis von 12 Mk. ab im
Ledigenheim und bis 20 Mk. in Arbeiterfamilien zu haben. Ein
gemeinsamer Mittagstisch kann bei genügender Beteiligung im
Siedlungsheim eingerichtet werden.

Gleichzeitig bitten wir diejenigen, die für die Siedlungssache
eingenommen und im Winter in Berlin oder in einer anderen Univer-
sitätsstadt zur Mitarbeit bereit sind, uns ihre Adresse mitzu-
teilen.

Alle Anfragen und Anmeldungen sind möglichst umgehend,
spätestens aber bis zum 15. August zu richten an die Ges chäfts-
stelle des Deutschen Siedlerbundes, Berlin-Charlotten-
burg, Berliner Strasse 22.

Y ereiiisiiaclirichteii.

Sozial-cliaritative Vereinigung-, Mittwoch, den 15. Juli,
abends 9 h. c. t. im Hotel Schrieder (ßohrbaclier Str): Vortrag des
Herrn Landtagsabgeordneten Hartmann über: „Die Entwicklung der
Deutschen Tabakindustrie“. Diskussion. Interessenten sind freundlichst
eingeladen.

Historisch-Philosophischer Verein. Donnerstag, 16. Juli,
1129 Uhr abends im Nebensäal des Stadtliallenrestaurants: 1. Wahl
eines neuen Sekretärs. 2. Vortrag des Herrn Driesch: „Das Pro-

blem des Monismus“.

von Vicenza und südlich der Brenta.

, Leipzig-Reudnitz

. auf oberitalienischen Einfluss zurück, und warum ist nördlich
nicht ebenso reines a erhalten geblieben?

Ist vielleicht Lusern über Lafraun (Lavarone) und Viel-
gereut (Folgaria) ein Ableger der oberitalienischen Gemeinden
und die Brenta als Wasserscheide Grenzgebiet gewesen?

Man sieht, für junge Germanisten und Historiker gibt es
noch manche Doktorfrage zu lösen.

Anderseits unterscheiden sich das hier zusammengehende
Zimbrisch und Lusernerisch ziemlich erheblich, beispielsweise
wie folgt:

zimbrisch: liiehte, toofe, pluut, s’tüüt, herre,

lusernerisch: liacht, toaf, pluat, s’tüat, hear,
also zimbrisch ursprünglichere Dehnung, dagegen lusernerisch die
jüngere Diphthongierung.

Anderseits fehlen nicht Beispiele umgekehrter Art, so:

zimbrisch: liarnen, ear, voar, bearte, niet;

lusernerisch: lirnen, är vor, vert (Mal), net,

Die sonst holpernde Mundart des Zimbrischen und Luser-
nerischen setzt das Personalfürwort oft - doppelt und braucht
mancherlei Flickwörter (Partikeln), um der Sprache glatteren
Fluss zu verleihen.

Besonders ist die nichtbayrische Eigenart der vokalischen
Verkleinerung -le, -eie, wie sie die Südgruppe (Lusern und die 7
Gemeinden) aufweisen, Veranlassung gewesen, dass diese Sprach-
inseln dem schwäbisch-alemanischen Sprachstamme zugewiesen
wurde.

In Wahrheit geht lusernerisch-zimbrisch-ele zurück auf mittel-
hochdeutsches -elin.

Als altes Sprachgut weisen unsere Sprachinseln dieses
Merkmal auf. Der Umlaut (e) begann im 8. Jahrhundert und
war im 9. Jahrhundert auf dem gesamten fränkisch-oberdeutschen
Gebiet durchgeführt.

Das Bayrische und Tirolische unterscheidet sich demnach,
dass es den Wandel vollzog, das Lusernerische und Zimbrische
aber nicht.

Die Schlussfolgerung überlasse ich den germanisch geschul-
ten Historikern.

Ferner ist bedeutsam: Im Zimbrischen fehlt dasbajuwarische
enk (ihr) enker (euer), und ebenso sagt der Zimber: iar get
(ihr gebt) für bayrisch es oder ös (Dual?) gebts.

Dieses enk und enker fehlt ebenso im Tiroler Eggental und
in Deutschnofen bei Bozen!

Mit der Gottscheer Mundart in Krain hat das Zimbrische
wieder gemeinsam die Aussprache des W als B (italienischer
oder slawischer Einfluss?). Ganz besonders möchte ich darauf
hinweisen, dass es an der Zeit wäre, wenn an den historischen
und germanistischen Seminaren unserer Hochschulen diese wissen-
schaftliche Kleinarbeit endlich geleistet wird, auf die unsere Sprach-
inseln seit Jahrhunderten warten. Bald könnte es zu spät sein, wie
denn für die 13. Communi von Verona nur noch wenig gerettet
werden konnte. Freunde der Bewegung seien aufmerksam ge-
macht auf den Bund der Sprachinselfreunde, Leipzig-Reudnitz,
Ranftschegasse 6, der kostenlos Auskünfte gibt und allen ein-
schlägigen Stoff sammelt, um ihn der Vergessenheit zu ent-
reissen.
 
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