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Universität Heidelberg [Hrsg.]
Akademische Mitteilungen für die Studierenden der Ruprecht-Karls-Universität zu Heidelberg: Winter-Halbjahr 1896/97 — Heidelberg, 1896-1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.25132#0046
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1896/97

Heidelbekgek Akademisohe Mitteilungen

Nr. 11

Studentische Sitte imd Unsitte.*)

Ein offenes Wort

an die Kommilitonen über zwei akademische
Sitten

von einem Studenten.

Aus „Factotum“, Berliner Hochschulen-Zeitung.

Immer mehr hört man klagen, dass die allgemeine Ni-
vellierung auch die Studentenkreise nicht verschone, dass man
den heutigen deutschen Studenten kaum mehr von einem Phi-
lister unterscheiden könne.

Ja gewiss, gar manch schöner Brauch ist verschwunden,
die Zeiten sind vorbei, da die Burschen in Wichs sporen-
klirrend, die lange Pfeife im Munde abends auf die Kneipe
zogen. Mag diese oder jene kleine Universitätsstadt ein solches
Idyll noch kennen; in einer Weltstadt wie Berlin aber achtet
Niemand mehr auf die bunten Miitzen. Auch die Studenten-
streiche unterscheiden sich immer weniger von den Ulkereien
nicht akademischer Spassvögel. Nur selten bekommt man
bei Gelegenheit eines akademischen Fackelzuges u. dergl. noch
hier und da ein Stücklein der alten Poesie zu sehen, sonst
aber:

0 jerum, jerum
0 quae mutatio rerum!

Aber wir Studenten sind auch viel gesitteter geworden: Nichts
mehr von den schauderhaften, öffentlichen Raufereien der alten
Jenenser, nichts oder wenig mehr von den alten viehischen
Saufgelagen, nichts mehr von dem alten barbarisch rohen
Fuchskomment.

Und doch einige Spuren jener Tage haben sich erhalten,
zeigen sich noch tagtäglich im Hörsaale: Ich meine die aka-
demische Art der Bezeugung des Beifalls oder Missfallens
gegenüber dem Dozenten. Mit Trampeln empfängt man den
akademisclien Lehrer, mit Trampeln nimmt man von ihm Ab-
schied; man trampelt, wenn er einen Scherz macht oder wenn
man wenigstens eins seiner Worte als solchen auffasst; man
trampelt, wenn er ein persönliches Urteil ausspricht, um ihm
damit die allgemeine Zustimmung auszudrücken. Aber man
scharrt, wenn man mit etwas in seinem Vortrage nicht ein-
verstanden ist, wenn der Dozent undeutlich spricht oder man
wenigstens etwas nicht deutlich verstehen kann; man scharrt
aber namentlich, wenn der Dozent — o horror — noch zu
sprechen wagte, nachdem das Ende der Stunde schon ge-
schlagen hat.

Kurz — ein Brauch, der so recht die souveräne Stellung
der plebs academica darthun soll, ein Brauch aber unwürdig
der heutigen Studentenschaft, die doch bald allgemein auch
Vertreterinnen des zarteren Geschlechts als vollberechtigte
Mitglieder wird anerkennen müssen. Ein Brauch, der noch
mit dem alten Fuchs-, Sauf- und Kaufkomment in eine Kate-
gorie gehört und gewiss schon manchen Dozenten peinlich
berührt, ja empört hat. Doch was kannerthun! Seine Ent-
rüstung aussprechen, die Behörden zum Einschreiten veran-
lassen ? Ein leerer Hörsaal künftighin wäre sein Erfolg!
Darum gelit der Dozent iiber solche Missfallensbezeugungen,
die sich mehr oder weniger alle Tage zutragen — namentlich
wegen zu langen Lesens — stillschweigend hinweg, höchstens,
dass er liier und da ’inal sagt: „Aber bitte, meine Herren,
die paar Worte können Sie mich doch noch sprechen lassen!“
Diese Mahnung wirkt dann auch für ein paar Sekunden —
dann beginnt das Scharren von neuem und in verbesserter
Auflage.

Gewiss kann man dieser akademischen Sitte, diesem stu-
dentischen „Rechte“ eine lange Geschichte nicht absprechen:
War das doch schon consuetudo der Hörer in den byzanti-
nischen Juristenschulen.

*) Wir sind gern bereit, Meinungsäusserungen aus hiesigen aka-

demischen Ivreisen über diesen Artikel aufzunehmen. ---

I)ie Schriftleitung.

Und doch rufen wir: Weg damit! Fort mit diesem
überlebten Brauche jener Zeiten, wo der Student gefiirchtet
und beriichtigt war, wegen seines grossen Raufdegens und
seiner noch grösseren Rauflust! Hat unser nüchternes, pro-
saisches Jahrhundert so manches vernichtet, was mit zur
alten Burschenpoesie gehörte, so mag auch dieser Rest bar-
barischer Sitten, die so oft den populus academicus zum aka-
demischen Pöbel stempelten, dahinschwinden, um einem wiir-
digen Komment Platz zu machen.

Wen empfängt man heute mit Trampeln? — Den Ko-
miker im Variete'. Begriissen wir daher den Dozenten, indem
wir uns von unseren Sitzen erheben! Das thut man in jeder
gesitteten Versammlung dem Vortragenden gegeniiber, wenn
man ihn ehren will. Zeigen wir ferner dem Dozenten unsern
Beifall nicht durch erneutes Trampeln, sondern durch un-
unterbrochenen fleissigen Besuch des Kollegs und, wenn durch-
aus etwas geschehen muss: durch eine studentische Ehrung
jeglicher Art, nur nicht pedibus. Jeder Dozent wird sich
gewiss über einen frischen Feldstrauss auf dem Katheder
mehr freuen, als über minutenlangen ohrbetäubenden Lärm,
dessen einziger Erfolg ein unerträglicher Staubwirbel ist!

Und nun das Missfallen! Wenn einem Einzelnen ein
Vortrag nicht gefällt, so mag er doch wegbleiben. „Der
Student muss auch schwänzen können!“ sagt, wenn ich nicht
irre, Theobald Ziegler einmal in seinem bekannten Buclie.
Ist aber das Missfallen allgemein, nun dann giebt es Mittel
genug, beirn Dozenten selbst oder schlimmsten Falls an an-
derem Orte vorstellig zu werden. Pflegt ein Dozent regel-
mässig zu lang zu lesen, sei es aus übler Gewohnheit oder
aus Schwerhörigkeit — dann wird eine allgemeine Petition
ihm viel angenehmer sein und auch bessere Wirkung thun,
als das Scharren. Im iibrigen aber darf man dem akademi-
schen Lehrer doch wohl den Takt zutrauen, dass er die Ge-
duld seiner Hörer nicht länger als nötig in Anspruch nimmt,
auch wenn er nicht beirn Glockenschlage mitten im Satze
abbricht.

Diese Vorschläge verweisen allerdings auf den legalen,
den Civilweg, wollen also den Studenten wiederum eine „lieb-
gewordene“ Eigentümlichkeit rauben!

Und doch bin ich sicher, mich *im Einverständnis mit
vielen meiner Kommilitonen zu finden und boffe nur, es möge
auch hier bald heissen:

„Das Alte stiirzt, es ändert sich die Zeit
Und neues Leben blüht aus den Ruinen!“

Von anderen Hochschulen.

Jena. Der ausserordentliche Professor fiir Pliysik an der
philosophischen Fakultät der hiesigen Universität, Dr. Auer-
bach, liat einen Ruf als ordentlicher Professor nach Königs-
berg erhalten.

Jena. Der ausserordentliche Professor der Chirurgie
Dr. Heinrich Haeckel wurde als Chefarzt an dasKranken-
liaus „Bethanien“ in Stettin berufen.

München. Der Vorstand des lnstitute of Public Health
hat die Harbon-Medaille für das Jahr 1897 dem Geheimen
Rat Professor Dr. v. P e 11 e n k o f e r für seine hervorragenden
wissenschaftlichen Leistungen verliehen.

Würzhurg. Das Stiftungsfest der Universität, das bis-
her stets am 2. Januar abgehalten wurde, ist für die Folge
auf den 11. Mai verlegt, da die Weinachtsferien besonders
in den letzten Jahren eine nur spärliche Beteiligung an dem
Festakte ermöglichten. Der nun für jede künftige Feier fest-
gesetzte Tag ist insofern für die Universität wichtig, als am
11. Mai 1575 Kaiser Maximilian II. der Universitätsstiftung
des Fürstbischofs Julius das kaiserliche Privilegium gewährte.
 
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