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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — 5.1895

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Heft 1
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Neumann, Carl: Über Kunst in Italien im zwölften Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.29062#0014
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Carl Neumann

Auf diesem Substrat einer Völker- und Kulturmischung erhebt sich
die Kunst unter normannischer Herrschaft. Die Leute, die eingewandert
waren, waren Soldaten, die die Kraft ihrer Fäuste ernährte, und Geist-
liche, Missionare des römischen Ritus. Die Kunst knüpfte unter diesen
Umständen zunächst an das an, was sie bereits im Lande vorfand.

In der Kirche S. Giovanni degli Eremiti in Palermo findet man das
Problem der Steinüberwölbung einer Basilika durch eine Folge quadrati-
scher, überkuppelter Räume gelöst. In der Hauptsache ähnlich wie an der
(nicht mehr vorhandenen) Apostelkirche in Konstantinopel, deren Nach-
ahmung, die Markuskirche in Venedig, noch vor aller Augen steht.
Tritt man in die Vorhalle der Kirche der madonna dell’ ammiraglio ein,
so sieht man in einem Mosaikbild den Stifter der Kirche vor sich, den
Admiral König Rogers, in byzantinischer Proskynese vor der Gottes-
mutter, nicht anders als im Narthex der Sophienkirche von Konstan-
tinopel den Kaiser zu den Füssen des Heilands. Der Plan der Kirche
selbst weicht in nichts von dem gewöhnlichsten byzantinischen Schema
ab: ein Quadrat, von einem Kreuz mit gleich langen Armen durch-
schnitten ; über der Vierung die Kuppel.

Der rein byzantinische Charakter dieser Bauten, doppelt auffallend,
da seit bald einem Jahrhundert die politische Herrschaft von Byzanz
über Unteritalien aufgehört hatte, hat zu einer merkwürdigen Verirrung
kunstgeschichtlicher Forschung Anlass gegeben. Der Herausgeber des
Prachtwerkes über den Dom von Monreale, Abbate Gravina, fand das
Problem einer im zwölften Jahrhundert mit den Gedanken und Mitteln
des sechsten Jahrhunderts wirkenden Architektur so unmöglich, dass er
die Erbauung dieser normannischen Werke in das sechste Jahrhundert
zurückversetzte. Wenn man ihm die urkundlichen Zeugnisse des zwölf-
ten Jahrhunderts entgegenhielt, so schienen sie ihm nur den dolosen
Sinn der normannischen Fürsten zu beweisen, die sich für Bauherrn
ausgaben, wo sie höchstens auf das Verdienst von Herstellung und Re-
stauration Anspruch hätten. Aber diese Gedanken stehen völlig in der
Luft.

Weitaus, das bezeichnendste Stück für die historische Betrachtung
dieser Kunst ist die Schlosskapelle in Palermo (capella Palatina). Ihre
Grundform ist die im westlichen Europa üblich gewordene längsgerichtete
Basilika; doch wollte der Erbauer die Kuppel nicht missen. Man sollte
denken, er würde versucht haben, den Kuppelraum auch in der Begrenzung
des Untergeschosses durch eigenartige Gewölbstützen auszuzeichnen, sei
es durch besondere, grössere Säulen an den Ecken des Kuppelquadrats
 
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