Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — 5.1895

DOI Heft:
Heft 1
DOI Artikel:
Neumann, Carl: Über Kunst in Italien im zwölften Jahrhundert
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.29062#0015
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Über Kunst in Italien im zwölften Jahrhundert 5

oder durch Pfeiler. Aber der Architekt begnügte sich, an diesen Stellen
die Säulen in der Flucht des Langhauses weiterlaufen zu lassen und nur
zu verdoppeln. Eine unbeholfene Auskunft, wodurch die Kuppel als
eine aufgedrängte Zutliat dem Auge förmlich denunziert wird. — Die
Dekoration der Kirche folgt ganz dem byzantinischen Geschmack, unten
Marmorbelag, darüber Mosaik auf Goldgrund, an den Schenkeln der
hohen Spitzbögen, an den Oberwänden, in den Leibungen der kleinen
Fenster, die über dem Scheitel der Bögen die Oberwand durchbrechen.
Darüber eine hölzerne Decke, die erst allmählich aus ihrem Dunkel
dem Beschauer ihre tropfsteinförmige Bildung entfaltet. Polychrom in
Gold, Kot, Blau, in einem wundersamen Wechsel sich zurückziehender
gewölbter Höhlungen und hernieder sich senkender Stützen, in einem
unerschöpflichen Reichtum vieleckiger, in ihren Durchschneidungen
immer neue und seltsame Ornamente erschaffender Formen. In den
kleinen Feldern der Decke sind Genreszenen gemalt mit Kameelen, Ga-
zellen, Zelten, Darstellungen arabischen Wüstenlebens, die dem sizilischen
Boden so fremd sind wie es die arabische Poesie war, die auch in der
Blütezeit des Islam nicht auf hörte, im Bann der klassischen Dichter
arabischer Heidenzeit von der Wüste zu träumen. Kur muhammedanische
Künstler können diese Bilder gemalt haben. Was man früher dagegen
einwandte, dass die figürlichen Darstellungen gegen solchen Ursprung
sprächen, ist längst erledigt, seit die Behauptung vom Verbot der Fi-
gurenmalerei durch den Islam als unrichtig erwiesen worden ist. Es
besteht kein Zweifel, dass arabische Kunst die Decke der Palatina ge-
schmückt hat. Überall verkünden arabische Inschriften das Lob des
Normannenkönigs. Jedes Element der Bevölkerung hat sein Teil dazu
beigetragen, diese Kirche zu einem kostbaren Kleinod zu gestalten.

Nach der Mitte des zwölften Jahrhunderts treten nordisch-abend-
ländische Einflüsse in den Bauten stärker hervor. Aber der Grund-
charakter bleibt der gleiche durch das Vorwalten dekorativer Pracht.
Immer bringt sie den stärksten, betäubenden Eindruck auf den Beschauer
hervor. Wie der Überschwang der natürlichen Fruchtbarkeit jenes
Bodens fast die Sinne umnebelt, so ist hier ein Einstürmen aller Reiz-
mittel, Farben, Formen, Gold und alles Kostbaren. Alle Künste sind
aufgeboten; aber es ist nicht so, dass viele Künste eine Kunst geben.
Die Effekte so vieler Kunstmittel fremder Kulturen sind hier vereinigt,
aber von keinem beherrschenden Kunstgedanken überragt. Für das
lebendige Fortschreiten der Kunst bedeuten diese sizilischen Werke so
gut wie nichts, und die haben sich sehr vergriffen, die den Ursprung
 
Annotationen