Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — 5.1895

DOI Heft:
Heft 1
DOI Artikel:
Neumann, Carl: Über Kunst in Italien im zwölften Jahrhundert
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.29062#0016
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
6

Carl Neumami

des Spitzbogensystems nach Sizilien und in diese Zeit verlegt haben.
Dies ist kein Boden, von dem neue Gedanken ausgegangen sind. In
ihrer etwas selbstgefälligen kolonialen Überladung, wie jene Normannen-
bauten vor uns stehen, sind sie gleichwohl unschätzbar. Von ihnen
geht ein starker Wiederklang so vieler byzantinischer und orientalischer
Originale aus, die untergegangen sind, und deren Kunstvollendung wir
an dem Zauber ermessen mögen, den sie auf ein fernes, schmucksüchtiges
Kolonialland geübt haben.

Wenn in Sizilien die Kunst wenigstens ein treuer Ausdruck der
Zustände ist, da eine herrschende Minorität die Kulturelemente des
unterworfenen Landes frei und tolerant gewähren lässt und, wohlbedacht
auf den eigenen Ruhm, mit freigebiger Hand die Mittel spendet zur
Entfaltung jeglichen Glanzes, so sucht man diesen repräsentativen Cha-
rakter der Kunst vergebens in dem Rom des zwölften Jahrhunderts.

Die Zeiten des grossen Anlaufs von Gregor VII. bis auf Innocens III.
sind monumental in keiner Weise verewigt worden. Nicht als hätten
asketische Vorstellungen dem entgegen gewirkt, wie sie Peter Damiani
in Anwandlungen von Bildungsfeindschaft („scholae enervant rigorem
sanctitatis“ !) und in manchen Stücken der Cisterzienserorden vertraten!
Die wahre Ursache lag in der ungenügenden Sicherung päpstlicher Macht
in Rom, wovon die beiden grossen Schismen des Jahrhunderts Zeugnis
geben. Es ist ein ergreifender Gegensatz, wie Rom in der Phantasie
der Welt lebte und wie seine Wirklichkeit beschaffen war. Das An-
sehen seiner geistlichen Schätze und Prärogativen erfüllte das Abend-
land; im Osten haftete die Majestät der alten Weltgebieterin noch in
der Erinnerung. Die arabischen Geographen überbieten einander mit
der Erzählung der Wunder Roms. Ibn Jakut weiss, man würde das
Zischen der untergehenden Sonne im Ozean hören, wenn es nicht von
dem Strassenlärm und der Bewegung der ungeheuren Volksmenge in
Rom übertönt würde. Edrisi erzählt, das ganze Tiberbett in Rom sei
mit Kupferplatten gepflastert. Wie wenig entsprach die Wirklichkeit
diesen alten Legenden! Will man sich mit einem Schlag einen Einblick
in die Barbarei verschaffen, so muss man den Klosterhof von S. Lorenzo
(ausserhalb der Stadtmauern) betrachten. Hier hat man die Wirklichkeit
des zwölften Jahrhunderts vor sich und kann sehen, was damals die
Romani di Roma, sich selbst überlassen, zu Weg brachten.

Die Schönheit architektonischer Erscheinung beruht nicht nur auf
den Grössenverhältnissen der Bauglieder, sie verlangt auch eine besondere
 
Annotationen