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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — 5.1895

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Heft 1
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Neumann, Carl: Über Kunst in Italien im zwölften Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.29062#0017
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Über Kunst in Italien im zwölften Jahrhundert

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Art der Verbindungen und Übergänge zwischen den einzelnen Teilen.
Die antike Baukunst gilt für klassisch, weil sie alle diese Anforderungen
empfand und befriedigte. Aus einem sicheren Gefühl schob sie z. B.
zwischen Fussboden, Säule und Dach Übergangsglieder, Basen, Kapitelle,
ein so oder so profiliertes Gebälk. Man kann diese Bauteile nur mit
den menschlichen Gelenken vergleichen. Wenn man ohne Gelenke einen
Rumpf, Arme und Beine, einen Kopf zusammensetzt, so entsteht wohl
eine Holzpuppe, aber keine wahrhaft menschliche Erscheinung.

Diese einfachen Wahrheiten muss man im Kreuzgang von S. Lorenzo
in Rom vergessen. Man sieht hier auf einen gemauerten Sockel kleine
Säulenschäfte gestellt, bald einzeln, bald gekuppelt; diese Säulchen sollen
Bögen und Gewölbe tragen; nur hier und da haben sie ein Kapitell;
meist ist ein breites Kämpferstück (das um so unförmlicher scheint, wo
nur eine Säule darunter steht) der Säule quer auf den Kopf gelegt als
Auflager für den Bogen. An den Fenstern römischer Glockentürme
dieser Zeit kann man dieselbe Barbarei sehen. Es ist offenbar, dass
Maurergesellen, die man vor einen Ruinenhaufen führte, um sich hier
das nötige Material zurechtzuhauen, dieses Kunstwerk geschaffen haben.
Der Marmor kann einen dauern, der so entwürdigt wurde.

Eben die Kirche des h. Lorenz ist nach dem Schluss des zwölften
Jahrhunderts von Papst Honorius III. umgebaut worden. Die ältere
Kirche, wie sie bis dahin bestand, zeigte zwei säulengetragene Geschosse
mit reichem Ornament. Das noch erhaltene Mosaik über dem Bogen,
in dem sich die Absis öffnete, ist aus dem siebenten Jahrhundert. Da
man nun die Kirche vergrössern wollte, wurde die Absis weggebrochen,
und nach dieser Seite ein neues Langhaus gebaut, so dass das alte Lang-
haus, gleichsam herumgedreht, dem neuen jetzt als Chor diente. In
welchem Stil ward dieser Neubau aufgeführt? Denn man sollte denken,
in Rom wäre im dreizehnten Jahrhundert anders gebaut worden als im
fünften. Als man im dreizehnten Jahrhundert in Strassburg beschloss,
das Langhaus am Münster zu errichten, zu dem schon stehenden Clior-
und Querhaus, griff man frisch in die Gothik und erzeugte den male-
rischen Zusammenklang des lichtdurchfluteten Vorderhauses mit dem
dunklen, schwereren, lastenden älteren Bau. In Rom aber wusste man
zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts immer noch nichts anderes als
im fünften und erbaute eine Säulenbasilika wie S. Maria Maggiore, so
wie man im zwölften Jahrhundert S. Maria in Trastevere und S. Clemente
gebaut hatte. Diese Kunst ist völlig stationär. Nur schwanden immer-
mehr die grossen Vorräte alter Bautrümmer der Heidenzeit. In S. Lorenzo
 
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