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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Editor]
Neue Heidelberger Jahrbücher — 5.1895

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Heft 1
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Neumann, Carl: Über Kunst in Italien im zwölften Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.29062#0020
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Carl Neumann

Andernfalls würde direkt von hier der Übergang zur Renaissance sich
haben vollziehen können“ (Stevenson). Diese Kunst war eine immer
mit Virtuosität gehandhabte, aber doch äusserliche Formensprache. Auch
ist sie nicht in Rom entstanden, nur in Rom lokalisiert. Die Zweifel
über den Ursprung dieses ganzen Zweiges haben sich neuerdings etwas
beruhigt. Die bis jetzt älteste Inschrift der Schule ist im Dom von
Ferentino (der nächsten Bahnstation südlich von Anagni an der Linie
Rom-Neapel); das Datum ist vom ersten Dezennium des zwölften Jahr-
hunderts. Die Nachbarschaft von Monte Kassino weckt sofort die Er-
innerung an Desiderius, den Abt dieses Klosters, der im elften Jahr-
hundert zur Förderung seiner Bauten Kunsthandwerker aus Konstantinopel
und Alexandrien kommen liess. Aber auch ohnedies wird die Herkunft
dieser Techniken aus altbyzantinischem Boden nicht zweifelhaft sein.

Auf der Folie des einheimischen Unvermögens entfaltet die ein-
wandernde Kunst einen unerhörten Luxus; in Rom akklimatisiert sie
sich bis zu einem gewissen Grad und erfährt lokale Einwirkungen, wozu
wenigstens ein offener Sinn gehört. Ein später Ausläufer antiker Kunst-
übung, berührt sie sich hier mit einem Boden von immer entfernter
gewordener Verwandtschaft. An der Monumentalgrösse römischer Um-
gebung darf man sie nicht messen; sie hat die Antike auf ein Miniatur-
format reduziert und wirkt dadurch immer wie Zuckerbäckerdekoration.
Auch ihren freieren und grösseren Schöpfungen sieht man die ängstliche
Hand an, die zur architektonischen Leistung berufen, die Herkunft und
Schulung an der Kleinkunst kirchlichen Mobiliars nicht verleugnet. Diese
römische Marmorkunst ist die Zeitgenossin der Poeten, die mit zusammen-
mosaizierten und -geleimten Phrasen aus Lukan, Horaz und Vergil Verse
machen, aber nie und nimmer die lebendig strömende Rhetorik und
das Pathos der Aeneis erreichen können.

Gegenüber diesen Tüftlern, denen das grosse Rom Anregung zu
kleinen Motiven gab, (unwillkürlich muss man an die römischen Schau-
läden von heute denken, wo Peterskirche und Pantheon mit ihren Kuppeln
als Tintenfässer angeboten werden) regt sich in Pisa und Venedig doch
eine andere Absicht und Baugesinnung.

Die Markuskirche in Venedig in ihrem Neubau und der Dom von
Pisa sind im elften Jahrhundert gegründet worden; zwei aufstrebende
Staatswesen wollten ein Denkmal ihres Selbstgefühls errichten. In beiden
Fällen ist wohl ein kriegerischer Erfolg, der gute Beute brachte, der
äussere Anlass gewesen. Für Pisa verkündet es eine Inschrift an der
 
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