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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Editor]
Neue Heidelberger Jahrbücher — 5.1895

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Heft 1
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Neumann, Carl: Über Kunst in Italien im zwölften Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.29062#0021
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Über Kunst in Italien im zwölften Jahrhundert

11

Fassade mit stark übertreibender Ruhmredigkeit. Dagegen ist für Venedig
das unmittelbare Vorbild, nach dem man arbeitete, besser bezeugt. Nicht
in der benachbarten Residenz Pavia, deren altberühmte Kaiserpfalz zwar
kürzlich zerstört worden war, deren Kirchen aber ansehnlich genug ge-
wesen wären, holte man sich das Muster, sondern in der Kaiserstadt
am Bosporus. Nicht als hätte man bauen wollen wie in dem Konstan-
tinopel des elften Jahrhunderts: man wollte eine Kirche haben wie in
den Zeiten Justinians. Als die Markuskirche fertig gebaut war, musste
man sie doch in ihren rohen Backsteinflächen stehen lassen: vielleicht
hatte man zur Zeit nicht die Mittel für eine prunkvolle, byzantinische
Dekoration. Das ganze zwölfte Jahrhundert ist für Venedig von so un-
erhörter kommerzieller Expansion und rastloser politischer Arbeit erfüllt,
dass für andere Dinge wenig Raum bleiben mochte. Man überliess es
den nachfolgenden Zeiten, den Bau am Haus des Schutzpatrons fortzu-
führen. y)

Von dem Dom in Pisa hat kein Geringerer als Jakob Burckhardt
geurteilt: Hier tliue die Kunst einen ihrer ganz grossen Schritte. In
der That ist der Eindruck dieses Baues mit seinen zwei Begleitern, dem
Turm und dem Taufhaus, ausserhalb des Lärmes einer Stadt, in dem
warm leuchtenden Ton seiner gelblichen Steinflächen, inmitten der Ein-
samkeit einer grossen, grünen Wiese, die von der Stadt- und der Kirch-
hofsmauer begrenzt wird, von überwältigender Wirkung. Je mehr man
den Gesamteindruck des einzigartigen Bildes in seiner Geschlossenheit
spürt, ohne im einzelnen zu zergliedern, um so tiefer ist die Wirkung.
Ich denke mir, dass das Urteil Burckhardts die Gewalt eines ersten
Eindrucks widerspiegelt.

Weder von den Gedanken des Baues noch von ihrer Kombination
mag ich glauben, dass sie neu seien, sowenig ein unmittelbares Vorbild
einstweilen nachzuweisen ist; auch sind sie keineswegs alle glücklich.
Am stärksten bleibt immer die Wirkung des Langhauses im Inneren,
wenn man dasselbe (was selten vorkommt) durch das Hauptportal be-
tritt; ganz besonders gegen Abend, wenn das beginnende Dunkel manches
beunruhigende Detail zudeckt. Die vierundzwanzig monolithen Säulen,
die das Mittelschiff begrenzen, bringen unmittelbar die hochgespannte
Energie des Bauwillens zur Erscheinung. Man muss sich vorstellen,
dass Säulen von dieser Grösse doch nicht auf der nächsten Strasse bereit

1) Ich fasse mich kurz, auch deshalb, weil ich in meinen Studien über die
Markuskirche diese Dinge ausführlich besprochen habe. (Preuss. Jahrbücher B. 69.)
 
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