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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — 5.1895

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Heft 1
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Neumann, Carl: Über Kunst in Italien im zwölften Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.29062#0022
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Carl Neumann

lagen. Yon den Aussenseiten des Domes verdient die Choransicht wohl
nicht das grosse Lob, das ihr gespendet worden ist. Sie hält keinen
Vergleich ans mit der Rheinansicht des Speierer Doms, wo die Zusammen-
wirkung von Chor und Querbau mit der von zwei Türmen flankierten
Vierungskuppel darüber, eine Gruppierung und Steigerung ermöglicht,
von der die Rückseite des Pisaner Doms schon durch den Mangel der
Türme weit entfernt ist. Aber überhaupt sind die Bauteile zu sehr
auseinandergezogen, und die Kuppel macht durch ihren unregelmässigen
Grundriss gar einen verbogenen Eindruck.

Offenbar aber richtete sich in jener Zeit das Interesse weniger auf
die Baudisposition als auf die dekorative Ausstattung. Die Fassaden-
bekleidung mit offenen Säulenreihen war sicher das Stück, das den
meisten Beifall fand. Nicht nur, dass man das dekorative System der
Domfassade ohne weiteres auf Glockenturm und Taufhaus übertrug, die
doch cylindrischen Baukörper haben (die Monotonie, die damit erzeugt
ward, an sich ein Beweis von Gedankenarmut, hat zweifellos ihren guten
Anteil an der Monumentalwirkung des Domplatzes): das auffälligste
Zeugnis des grossen Eindrucks, der von dieser Pisaner Weise ausging,
bietet Lucca. Hier hört man den langen Nachhall der Pisaner Kunst;
die grossen Kirchenfronten singen die gleiche Melodie. Sie bestach aller
Ohren und Augen.

Der Gedanke dieser Dekoration ist sehr schön und von der Antike
sehr wohl beglaubigt. Die geschlossene Mauerfläche wird durch die
Vorgesetzte Säulenhalle scheinbar aufgelöst, und die ganze Steinmasse
wie durch frische Luftzuspülung ventiliert. Auch zog man schon in
der sinkenden Antike dem geraden Gebälk über den Säulen die Bogen-
folge der Arkaden vor, und es ist leicht nachzuempfinden, dass der be-
wegte Rhythmus dieser gebrochenen Linie von erhöhtem Reiz war.
Soweit befindet sich die Dekoration der Pisaner Domfassade in guten
Bahnen, und dass sie nicht originell ist, würde Niemanden hindern, sie
schön zu finden. Aber sie hat ihren wunden Punkt, an dem die inner-
liche Barbarei jener mittelalterlichen Bauleute zum Vorschein kommt
und ein Mangel an Formgefühl, der den Rest guter Tradition nur wie
einen dünnen Firniss erscheinen lässt.

Die schöne Reliefwirkung der Säulen an der Domfassade beruht
zum Teil, wenn man sich eines Ausdrucks aus der antiken Reliefplastik
bedienen darf, auf ihrer Isokephalie. Die Deckplatten der Säulen, die
Scheitel der sie verbindenden Bögen bilden parallele Horizontallinien.
Wie sollte aber dieser Grundsatz gewahrt bleiben im Giebelfeld oder in
 
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