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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — 6.1896

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Heft 2
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Thode, Henry: Eine italienische Fürstin aus der Zeit der Renaissance
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https://doi.org/10.11588/diglit.29036#0159
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Eine italienische Fürstin aus der Zeit der Renaissance

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mit anderen Titian’schen Frauenköpfen, hat dieser etwas Lebloses,
Allgemeines, Typisches. Man vermisst in ihm den vollen Pulsschlag
des Lebens. Das will bei einer Beurteilung der Frau nach diesem
Bildnis berücksichtigt sein. Dennoch giebt es deutlich den Charakter
wieder. Ein wenig nach der Seite gewandt, in vollständiger Ruhe schaut
sie mit scharfem, klugen Blicke heraus, einem Blicke, der in seiner un-
verrückbaren Bestimmtheit fast schonungslos den Beschauer zwingt, ihn
zu ertragen. Die Züge sind von einer regelmässigen, aber etwas unbe-
weglichen Schönheit. Nur in den fein geschweiften Augenbrauen, den
unmerklich bewegten Mundwinkeln verrät sich sichtbarlich eine zart
ausgebildete Intelligenz, aber das wesentlich Charakteristische des Kopfes
ist Klugheit und Energie. Der höchste Zauber der Weiblichkeit, der leb-
hafte Ausdruck eines warmen, impulsiven Gefühles hätte danach dieser
Frau gefehlt. Ihrem Gatten, ihren Kindern gegenüber mag es sich ge-
äussert haben — was die Künstler, die Dichter an sie gefesselt hat, ist der
klare Geist gewesen, in dem die Gedankenwelt Anderer bis in die feinsten
Einzelheiten hinein ihren spiegelhellen Reflex fand, die sichere Vornehm-
heit, welche alle Formen menschlichen Verkehrs künstlerisch zu veredeln
wusste. Nec spe nec metu!

Das Portrait, das uns Titian von Isabella hinterlassen hat, stimmt
mit dem Bilde überein, dessen einzelne Züge wir aus ihrer Korrespondenz
zusammenfügen konnten: die Klugheit, mit der sie in Abwesenheit ihres
Gemahls die Geschäfte geführt, der Ehrgeiz, dem ihre Familie die
grössten Erfolge verdankt, der rastlose Eifer und die Gewandtheit, mit
der sie ihre Sammlung von Kunstwerken bewerkstelligt, die oft etwas
geschäftsmässige Behandlung der Geldangelegenheiten selbst Künstlern
gegenüber, daneben aber eine leidenschaftliche Familienliebe, ein edler
Formensinn, ein lebhaftes angeborenes Interesse für alles Geistige. Nicht
allein die schönste, wie die Madama Cotron an den Marchese schreibt,
wird Isabella unter den zur Hochzeit der Lucrezia Borgia versammelten
Frauen gewesen sein, sondern auch weitaus die bedeutendste. Erklärt
sich aus dem Allen nicht überraschend die Wahl der Kunstwerke, die
sie um sich versammelt, der eigentümliche Reiz, den die mehr dichte-
rischen als malerischen Allegorien und mythologischen Fabeln für sie
hatten ? Ahnt man es nicht wohl, dass ihr subtiler Geschmack bestimmend
auf die unscheinbarsten Gebrauchsgegenstände ihrer Umgebung wirken
musste, wie das aus den zahlreichen Aufträgen an Goldschmiede, an
Verfertiger von Elfenbein-, von Bernstein-, von Ebenholz- und sonstigen
Arbeiten hervorgeht? _
 
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