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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — 6.1896

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Heft 2
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Thode, Henry: Eine italienische Fürstin aus der Zeit der Renaissance
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https://doi.org/10.11588/diglit.29036#0160
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Henry Thode

Wer heutzutage die einstige Residenz der Gonzaga’s besucht, wird
nur mit Mühe sich in jene glanzvollen Zeiten versetzen können. Kaum
giebt es eine melancholischere Stadt in ganz Italien. Von Grund aus um-
gestaltet ist der Palast am Pusterlathore, für den Mantegna seinen
Triumph des Cäsar, für den Lorenzo Costa, Francesco Bonsignori, Leo-
nardo Leonbruno, Giulio Romano zahllose Fresken geschaffen. Verödet
und kahl empfängt den Besucher der grosse Komplex des Kastelles —
in den leeren Sälen und Korridoren, die einst mit kostbaren Arazzi’s,
mit den Meisterwerken italienischer Maler geschmückt waren, tönt fast
unheimlich der Schritt wieder. In einigen der hohen, weiten Räume
sind zwar noch Fresken erhalten, aber es sind die wilden, gewalt-
samen Gebilde Giulio Romano’s und seiner Schüler, deren lärmende,
grossthuerische Formensprache in greller Disharmonie mit der leblosen,
schweigsamen Umgebung steht. Fast gespenstisch treten Einem plötz-
lich in der Camera degli Sposi die wie durch einen Zauberschlag mitten
in ihrer Bewegung versteinerten Gestalten Lodovico’s Gonzaga und aller
seiner Angehörigen entgegen, die Mantegna mit seinem unerbittlich
wahrhaftigen Pinsel an die Wände gebannt hat. Vielleicht, dass man
sich Stunden lang in starrem Sinnen vor ihnen vergisst, vielleicht dass
man erschreckt sich weiter wendet, nach einem kurzen, zaghaften Blick
in dieses Schattenreich der Kraft —: da sieht man sich plötzlich mit
Verwunderung in kleinen engen Räumen, mit fein gearbeiteten und
bemalten Holzdecken, zierlichen Arabesken aus Stuck und Intarsien an
den Wänden, leicht und fröhlich skulpierten Marmoreinfassungen der
Thüren. Ein liebliches Gewebe, mit dem eine launig spielende Einbil-
dungskraft die nackte Wirklichkeit von Stein und Holz überzogen hat.
Ueberall wiederkehrend in den Ornamenten eigentümliche Symbole: ein
Blumensträusschen, ein Kandelaber, die römische Ziffer XXVII — und
mitten zwischen ihnen der Sinnspruch: nec spe nec metu. DasParadies
der Isabella Gonzaga! Hier sass sie, die klugen, aufmerksamen Augen
auf Ariost gerichtet, als er ihr die Geschichte seines Orlando erzählte,
hier verbrachte Pietro Bembo den glücklichen Abend, an dem ihre
schöne, die Saiten schlagende Hand ihn bezauberte, hier vertiefte sie
sich in Virgil, den ihr Aldus Manutius gesandt, hier berichtete ihr
Castiglione von den neuen wunderbaren Funden, die in Rom gemacht
worden waren, hier entwarf sie mit Mantegna die sinnreichen Fabeln,
hier wies sie dem kriegesmüden, heimkehrenden Gemahl in Mitte ihrer
Kinder eine Stätte des Friedens und der Erholung! ■—- Warum sie es
das Paradies nannte? Die Antwort ist nicht schwer. Der Führer frei-
 
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