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ganz anders die Absicht weniger auf Uebung der Sprache als auf
die Aneignung der alten Kultur ging 25 — so wie man diese ver-
stand — war man der Vorlage gegenüber unbefangener, wenn
man will, schöpferischer. Man schaltete frei mit dem Urtext,
milderte, was zu kräftig schien, retuschierte, was Anstoß und
Befremden erregte, was Sitte, Anstand oder Religion verletzte.
Die Chöre besonders wurden ihrer heidnischen Mythologie wegen
überarbeitet oder ganz neu gedichtet. Nach dem Muster Senecas
teilte man das Stück in Akte und Szenen und gab den Anteil des
Chors an der Handlung auf. So verfuhren z. B. die Antigone-
Uebersetzer Alamanni und De Balf. Das Ergebnis ist eine Assi-
milierung der Vorlage an den Stil des Renaissancedramas bis
zur völligen Unkennbarmachung seiner griechischen Vergangen-
heit. Diese Autoren sahen sich außerstande, eine wortgetreue
Uebersetzung einer griechischen Tragödie nicht nur selbst zu lie-
fern, sondern auch ihrem Publikum zuzumuten. Dazu bedurfte
es der Treue, Geduld und Pedanterie eines deutschen Poeten und
eines deutschen Lesers. Die Bedürfnisse des ausländischen Publi-
kums waren ästhetisch und modern, die des deutschen gelehrt und
antiquarisch. Dorf mußte eine Uebersetzung lesbar oder sogar
aufführbar, hier sollte sie zuverlässig und treu sein. Es ist etwas
echt und eigentümlich Deutsches, dieses Halten am Wort, halb
Pedanterie und halb Treue. „Das Wort sie sollen lassen sfahnl“,
das ist deutsche Philo-logiel Den Begriff der „ad verbum infer-
pretatio“ kennt damals nur der Deutsche. Er ist in der „Anti-
gone“ in einem damals noch nicht erreichten Maße erfüllt.
Der äußere Umfang des Originals ist demnach ungefähr ein-
gehalten. Da die Uebersetzung in den Chorpartien durch Ver-
wendung von etwas längeren Verszeilen bisweilen einiges spart,
ist sie an Verszahl sogar noch etwas kürzer: 1322, gegen 1352 Verse
des Originals. Auch die äußere Form ist, wie wir noch sehen
werden, der Uebersetzer bemüht adäquat wiederzugeben, indem
der Dialog in dem vermeintlich verwandten Alexandriner, die
Chöre in freien Versmaßen gehalten sind. Eine Akt- und Szenen-
einteilung fehlt im Gegensatz zu den „Trojanerinnen“. Während
diese bei der Behandlung Senecas durchgehende Gepflogenheit
war26, ließen die griechischen Stücke eine Scheidung der durch
den Chor verschränkten Auftritte nicht zu.
Von dieser Tatsache, daß die Uebersetzung der Absicht nach
25 Vgl. Wenderoth, Euph. XIII (1906).
26 Vgl. Cr eiz en ach, a. a. O. Bd. II, S. 487.
 
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