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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — N.F..1926

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Alewyn, Richard: Vorbarocker Klassizismus und griechische Tragödie: Analyse der "Antigone"-Übersetzung des Martin Opitz
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Drittes Kapitel: Vergleichende Analyse der Opitzschen „Antigone“ - Übersetzung
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https://doi.org/10.11588/diglit.47621#0029
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23

Wir haben nun den erörterten Prozeß im Einzelnen vorzu-
führen. Er wird sich uns zeigen in fünf Formen: Als Vereinheit-
lichung der Temperatur, als Einebnung des Niveaus, als Abschwä-
chung des Ausdrucks, als Erklärung des Unklaren und als Mo-
dernisierung des Fremden.
Unter Einheit der Temperatur verstehen wir jene durch-
gehende und bestrebte Monotonisierung des ursprünglichen
Klangreichtums in ein gleichmäßiges wohltemperiertes Mezzo-
forte, die Grundhaltung der Renaissancetragödie überhaupt. Es
gibt hier keine Schwankungen der Intensität des Ausdrucks,
keinen Wechsel der Hitzegrade der Leidenschaft, keine Fieber-
kurve des, Temperaments. Die Sprache bewahrt durch die ganze
Uebersetzung hindurch so gleichgemessenen Ton, bleibt so gleich-
gültig gegenüber ihrem Inhalt, so stoisch unerschüttert, als wollte
sie die vom idealen Zuschauer geforderte Ätaraxie selbst vor-
bilden. Rhythmus, Tempo und Farbgebung sind auf eine aus-
geglichene Tonart abgestimmt. Das Seismogramm der sprachlichen
Erschütterung hält eine ausdruckslose Mittellinie. Das sprachliche
Material für sich hat bei einer als möglich angenommenen Ab-
straktion von seinem Bedeutungsgehalt fast keine Ausdrucks-
kurve. An einem Beispiel sei diese Fühllosigkeit für die Schwan-
kungen der Ausdrucksform verdeutlicht: In der griechischen
Tragödie äußert sich der tragische Höhepunkt meistens als
Schweigen oder als Lakonismus. In einer sprachlichen Blut-
stockung preßt sich das Gefühl zusammen bis zu einem Minimum
an Zahl, einem Maximum an Gewicht der Zeichen (nach Nietz-
sches Wort). Dann erst, in einer zweiten Phase, bricht ebenso
breit und ungehemmt die große Klage aus. Opitz gleicht diesen
Kontrast aus. Der tragische Lakonismus wird ins Breite ge-
schwemmt, die Klage dagegen wird als peinlich, vielleicht sogar
als würdelos empfunden und nach Kräften eingedämmt (l)28.
Die vorhandene Nuancierung des Originals ist natürlich nicht
ganz zu unterdrücken, aber sie wird eingeschränkt auf das un-
freiwillige Minimum, das die wörtliche Nachfolge des Urtextes
auferlegte. Nur mit spürbarem Widerstreben und in größt-
möglichem Abstand folgt die Opitzsche Sprache der Bewegung
der Vorlage nach. So ist naturgemäß der Schlußkommos reich
an Interjektionen, an Wortwiederholung und Epizeuxis. So führt
die ausholende erste Rede des Kreon feierlichen Wortschlag und
28 Die eingeklammerfen Zahlen verweisen auf die Belegsammlung des An-
hangs.
 
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