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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — N.F..1926

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Alewyn, Richard: Vorbarocker Klassizismus und griechische Tragödie: Analyse der "Antigone"-Übersetzung des Martin Opitz
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Drittes Kapitel: Vergleichende Analyse der Opitzschen „Antigone“ - Übersetzung
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https://doi.org/10.11588/diglit.47621#0028
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22

„Kurz ist der Schmerz, und ewig ist die Freude“ diese gewisse Aus-
sicht nimmt dem Untergang jede Ernsthaftigkeit und damit die
Tragik. Keine Rede ist nun mehr von prinzipieller Bedrohtheit
und Heil-losigkeit der Welt, keine Sage von dermaleinstigem
Wiederausbruch des Chaos und Weltuntergang. Und immer nur
dort, wo heidnische Instinkte sich wieder erhoben, entstanden An-
sätze der Tragödie als des heil- und aussichtslosen Kampfes des
Menschen und der Mächte.
Davon besaß die christlich-stoizistische Renaissancewelt, erst
recht in der Spätzeit der Epigonen, keine Erfahrung mehr. Der
Opitzianischen Seelenverfassung fehlten alle Organe sowohl der
Aufnahme als der Wiedergabe von dämonischer unmittelbar der
Natur oder dem Schicksal unterworfener Haltung. Gleich fern
auch Goethescher Fassung, die um die Abgründe weiß, aber ihnen
die Herrschaft wehrt - das wäre Klassik —, kam Irrationales
in dieser abgeleiteten und dreimal durchgefilterten Bildungswelt
überhaupt nicht vor — und das nennen wir „Klassizismus“.
So ist alles Dunkle, Drohende, Erregende der griechischen
Tragödie unter Opitzens zweiter Hand geschwunden, gewisser-
maßen beim Umfüllen in das neue Gefäß verloren gegangen 27.
Da seine Uebersetzung nicht die ganze Dichtung einschmilzt und
aus ihren Elementen als neue Schöpfung wieder erstehen läßt,
sondern nur kurzsichtig der sprachlichen Oberfläche nachtastet,
ist nur das Relief geblieben und alle Tiefenverhältnisse in einem
Maßstabe verkürzt, der sie so gut wie ganz aufhebt. So ist das
drängende und drohende Werden, der „tragische Transport“
(Hölderlin), ins Ruhende, Statische zurückgeführt, der Prozeß
in seinem Ergebnis versammelt. So wird alles flacher und matter.
Selten zwar nur wird bewußt gemildert und retuschiert, dazu ist
die Befangenheit vor dem gesetzten Wort zu groß. Die Wege und
Mittel sind ganz versteckt, mit denen Gehalt und Stil der griechi-
schen Tragödie verwandelt werden in ein Renaissancedrama, d. h.
ein klares und durchsichtiges Gebilde. Dahinaus läuft wenigstens
Opitzens Ansatz, den bald nach ihm das klassizistische Drama der
Franzosen verwirklichte. Daß die „Antigone“ trotzdem des Ver-
worrenen und Dunklen noch genug aufweist, ist ein Mangel nicht
seines Wollens, sondern seiner Kraft und gleichzeitig die Schuld
des dumpfen und wahrlosen Zustandes, in dem er die deutsche
Sprache vorfand.
27 Während sein Antipode in der Uebertragung der „Antigone“, Hölderlin,
gerade das ihm schon zu sehr verleugnete „Orientalische“ mehr herausheben
zu müssen glaubte, (ed. Hellingrath, Bd. V, S. 325.)
 
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