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Brodersen, Kai; Kiesel, Helmuth [Hrsg.]; Dölling, Dieter [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Rausch — Berlin, Heidelberg [u.a.], 43.1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.4065#0120
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Psychiatrie und Psychopathologie des Rausches
von Manfred Müller-Küppers

I. Einleitung

Die Erfahrung der Trunkenheit, d.h. des Rausches, ist so alt wie die prähisto-
rische Entdeckung, daß kohlehydrathaltige Flüssigkeiten durch einen Gärungs-
prozeß in berauschende Getränke verwandelt werden können.

Eine erste Annäherung an den Begriff des Rausches liefert die Semantik.
Das Substantiv ist rückgebildet aus dem mittelhoch- und mittelniederdeut-
schen Ruschen, niederländisch Ruischen, englisch to rush. Das Wort laut malt
nachahmend eine stürmische Bewegung. Diese Bedeutung von „rauschen" ist
im mittelalterlichen Ansturm noch erhalten. Mit dem 16. Jahrhundert wandelt
sich der Begriff dann zu der Bedeutung „Umnebelung der Sinne", Trunken-
heit, Erregungszustand. Diese Befindlichkeit wird auf psychische Phänomene
übertragen und es kündigt sich eine tendentiell negative Connotation an, die
bis heute vorherrschend ist.

Bis zum 19. Jahrhundert hat sich in unserem Kulturkreis der Rausch fast
ausschließlich an den Erfahrungen mit dem Genuß des Alkohols orientiert.
Dabei geht der Gebrauch von bewußtseinsverändernden Pflanzen und Sub-
stanzen - vorwiegend im Orient, Asien und Amerika - bis in archaische Zei-
ten zurück. Zwischen der ersten schriftlichen Erwähnung der Hanfpflanze in
einer chinesischen Schrift und der Veröffentlichung des Suchtstoffkontrollrats
- einer Institution der Vereinten Nationen - liegen 5000 Jahre.

Der Rausch ist - aus psychiatrischer Sicht - eine Form des „Außer-sich-
seins", d.h. ein Zustand eines veränderten Bewußtseins.

Die Psychiatrie unterscheidet heute zwischen stoffgebundenen und stoff-
freien Rauschzuständen und hat früh festgestellt, daß das Problem des Rau-
sches nicht zu trennen ist von der süchtigen Abhängigkeit von diesen Zustän-
den.

Im klinischen Alltag und nicht einmal in der Sprechstunde des niedergelas-
senen Nervenarztes hat der Rausch einen Ort. Berauschte suchen keine Hilfe
in der Klinik und die hilflose, offensichtlich berauschte Person, die nicht ein-
 
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