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Brodersen, Kai; Kiesel, Helmuth [Hrsg.]; Dölling, Dieter [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Rausch — Berlin, Heidelberg [u.a.], 43.1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.4065#0257
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„Diesen Trinker gnade Gott!"
Säuferpoesie im deutschen Mittelalter

von Fritz Peter Knapp

Wie rückständig und bescheiden die Zivilisation des mittelalterlichen Abend-
landes gegenüber dem Morgenlande war, zeigt sich nicht zuletzt darin, daß sie
den Rausch des Opium- und Haschischrauchens nicht kannte.1

Immerhin konnten sich die Wohlhabenden, allen voran die Adeligen, die
gewöhnlichen' leiblichen Genüsse der Sexualität, des Essens und Trinkens
bis zum Überdruß beschaffen, während den Besitzlosen oft nur der Ausweg
billiger Rauschmittel blieb, um in Traum, Trance und Ekstase die unendliche
Plackerei des täglichen Lebenskampfes zu vergessen und die verwehrten
Freuden scheinhaft zu erleben. Die dazu gebrauchten Drogen heißen in den
schriftlichen Quellen, die natürlich von Gelehrten, nicht vom ,Volk' verfaßt
sind, Hexensalben oder Hexendrogen. Sie dürften oft tatsächlich Halluzina-
tionen erotischen Erlebens oder der Fähigkeit, sich in die Luft erheben oder
sich in Tiere verwandeln zu können, hervorgerufen haben. Alkaloidhaltige
Rauschmittel, die dazu taugten, waren Alraune, Bilsenkraut, Mohn, Eisenhut,
Schierling, Tollkirsche und andere. Das Bilsenkraut wurde übrigens auch,

Dies und das Folgende dieses Absatzes nach Kuhlen, Rauschmittel, Sp. 479 f. Die Angaben
sind jedoch offenbar von pharmazeutischer Seite nicht unbestritten. Wie mir Herr Kollege Mi-
chael Wink von der Fakultät für Pharmazie der Ruprecht-Karls-Universität freundlicherweise
mitteilt, können Schierling und Eisenhut ihrer tödlichen Wirkung halber nicht als Rauschmit-
tel eingesetzt worden sein. Keinen Widerspruch müssen allerdings die Behauptungen bedeu-
ten, daß der Schlafmohn zwar durchaus als Opiat, aber doch nicht zum Rauchen verwendet
wurde. - Bemerkenswerterweise kennt das Mittelhochdeutsche für den Rausch nur die Aus-
drücke trunkenheil und (ganz selten) trunkenschaft. Das Wort rüsch bezeichnet dagegen nur
die „rauschende Bewegung, (den) Anlauf, Angriff" (Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörter-
buch II, Sp. 555). Erst im 16. Jahrhundert erhält rausch auch die Bedeutung „Trunkenheit"
(nach Kluge, Etymologisches Wörterbuch, S. 585), im Niederdeutschen wohl etwas früher.
Noch im niederdeutschen Mönchsexempel vom Bruder Rausch aus dem 15. Jahrhundert ist
jedoch dieser Name für den Teufel, der sich unter die Mönche mischt und sie zur Unmäßigkeit
verführt, nicht von dieser, sondern vom „rauschenden", polternden Wesen des Teufels abge-
leitet. Vgl. Harmening, .Bruder Rausch', Sp. 1043-1045.
 
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