Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Brodersen, Kai; Kiesel, Helmuth [Hrsg.]; Dölling, Dieter [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Rausch — Berlin, Heidelberg [u.a.], 43.1999

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4065#0294
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
„Schmutzige Riten" ?

Ekstase, Schamanismus und pflanzliche Drogen

als tabuisierte Formen des Zugangs zum Gotteserlebnis

von Klaus-Peter Köpping

Die negative Bewertung von in ekstatischen Zuständen gewonnenen direkten
Gotteserlebnissen in der abendländisch-christlichen (und bereits vorchristli-
chen griechischen) Einstellung zum Religiösen ist ein immer wieder disku-
tiertes erklärungsbedürftiges Phänomen. Nur in Randgruppen der Gesell-
schaft, bei Außenseitern und unterdrückten oder ausgegrenzten Teilen der
Bevölkerung (und der hohe Anteil von Frauen unter den inzwischen wieder
sehr populären mittelalterlichen Mystikerinnen ist ein genauso typisches Bei-
spiel dafür wie die Suche der Romantiker, die auch als soziale Außenseiter
galten) scheinen sich Individuen oder Gruppen einer solchen Gottesschau
hingegeben zu haben. In manchen Fällen wird sie auch als Mittel des sozialen
Protestes eingesetzt. Diese in westlichen Kulturen bis in die Moderne vorherr-
schende Tendenz steht in eklatantem Kontrast zu vielen sogenannten früher
als schriftlos oder primitiv bezeichneten Kulturen, insbesondere zu den Ri-
tualpraktiken von Sammler- und Jägervölkern des eurasischen Kontinents und
der gesamten Neuen Welt. Bei diesen gehören solche ekstatischen Zustände
sozusagen zur Normalität, indem sie entweder individuell durch einen Ritual-
führer errungen werden, oder ein solcher Ritualführer (Schamane) die ge-
samte Kollektivgruppe (häufig allerdings nur den männlichen Teil der Bevöl-
kerung) in diesen Ekstasereisen anleitet, insbesondere bei risiko-behafteten
Situationen, wie Jagd, Kriegszügen, Krankenheilungen oder Divinationen.

Im folgenden soll dieser Frage der Ablehnung ekstatischer Zustände, insbe-
sondere solcher, die unter dem Einfluß von pflanzlichen (psychotropischen)
Drogen stattfinden, nachgegangen werden, und zwar durch einen Vergleich
der Rezeptionsgeschichte der Erscheinungsformen der Ekstase in traditionell
vom Schamanismus geprägten Regionen, vornehmlich Sibirien und der ge-
samten Neuen Welt, mit der Reaktion auf jene rituellen Handlungen, die so-
wohl bei den religiösen Dissidenten des 17. Jahrhunderts in England wie bei
 
Annotationen